Polizei-Alltag - Real Cases und Kurioses
Real Cases und Witziges. (Folge 20)
REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Der (fiktive?) Polizist Andreas Müller erinnert sich in unserer „real-cases-Serie“ an seine polizeiliche Dienstzeit. Er blickt zurück auf „Streifengänge“ als Schutzpolizist und spektakuläre Ermittlungen bei der Kripo, aber auch auf „private“ Ereignisse im Beruf, die ihm sehr viel Spaß bereitet haben. Da Müller als NÖEB (nicht öffentlich ermittelnder Beamter) später bei verdeckten Ermittlungen im Drogenmilieu eingesetzt war, möchte er seine wahre Identität verbergen. Er bietet uns jedoch einen „unverblümten“ Blick hinter die Kulissen des Polizeialltags in jener Zeit „als die Polizei noch Käfer fuhr“. Müller (Gitarrist der ehemaligen Syndikatsband deren Name ja auch „Streng geheim“ war) möchte aus Angst vor Repressalien und drohenden Dienstordnungsverfahren (Verstoß gegen die „Ormetà“ und „Beschmutzung des Berufsstandes“) weiterhin „unter dem Asphalt leben“. Müller denkt an kuriose Begegnungen, außergewöhnliche Ermittlungsmethoden und effektive Überwachungsstrategien und an Menschen, die der Polizei nicht immer freundlich begegnet sind. Er ist „der festen Überzeugung“ (so reden Politiker auch immer) er sei stets „Freund und Helfer“ für Menschen in Notsituationen gewesen.
Ein Käfig voller Narren und im „Bullenkloster“ tobt der Saal
In der Wochenendausgabe der RZ hatte unser Protagonist Andreas Müller zahlreiche Berichte über „Kappensitzungen“ in der Region gelesen. Mit jedem Artikel tauchen mehr Erinnerungen an „seine närrische Zeit“ auf, besonders an Schwerdonnerstagssitzungen des CCPP (Carnevals-Club-Polizei-Präsidium) in der Kantine des Polizeipräsidiums. Bereits Wochen vorher planten karnevalsbegeisterte „Mitarbeitende“ dieses jährliche Ereignis und opferten viele Arbeitsstunden (nicht nur zu dienstlich „ungünstigen Zeiten“). Böse Zungen behaupteten „arbeitsmäßig zurückhaltende“ Beamte würden bis dato nicht gekannte Aktivitäten entwickeln und sich besonders stark engagieren. Ein beliebtes Wortspiel zu jener Zeit war jedoch „Böse Münder behaupten…“, denn der Leiter der Schutzpolizei hieß Boese und der Familienname seines Stellvertreters war Münder.
Viele Butze stiegen in die „Bütt“ und berichteten in humorvollen Reden und Musikbeiträgen über lustige Ereignisse des vergangenen Jahres. Aber was wären närrische Tage ohne Frauen? Bei der Schutzpolizei waren zwar noch keine Polizeivollzugsbeamtinnen aber viele weibliche Polizeiverwaltungsangestellte (wäre „Angestelltinnen“ die korrektere Bezeichnung?) die Schautänze einstudierten und fantasievolle Kostüme für ihren Auftritt nähten (manchmal auch während der Dienstzeit in der „Kleiderkammer“. Nachdem die Kolleginnen wiederholt den Wunsch geäußert hatten, sie würden sich über ein Männerballett bei der Schwerdonnerstagssitzung freuen wagten wir auch den Sprung auf die närrische Bühne, nachdem die Damen uns „gewagte“ Kostüme geschneidert hatten. Müller kann sich noch an die weiblichen Zurufe „Ausziehen! Ausziehen!“ erinnern. Dieses Verhalten würde heute einen „Aufschrei“ auslösen, denn Frauen und Männer sind doch „gleich“, oder?
Prinz und Gefolge wurden in der närrischen Jahreszeit w von zwei Kradfahrern der Polizei begleitet (auf dem Foto bei der Erstürmung des III. Korps). Auch der Besuch der Schwerdonnerstagsitzung im Präsidium gehörte zum „Pflichtprogramm“ für Karnevalsprinzen, die keinen Respekt vor der Staatsmacht kannten, Polizeipräsident Helmut Wintrich fesselten und die Hausherrschaft übernahmen.
Nach dem Ende der Sitzung „versackte ein harter Kern“ in der Sektbar im Nebenraum der Kantine bis in die frühen Morgenstunden und Freitag war ein „gemeinsames Reinemachen“ angesagt.
Mit dem Dienstantritt des neuen Präsidenten endete zunächst die Großzügigkeit des alten „Hausherrn“ aber Narren können hartnäckig sein. Nach einer kurzen „Durststrecke“ gründeten jüngere Kolleginnen und Kollegen den „gemeinnützigen“ FCCP (Fastnacht-Club-Polizei-Präsidium), sodass das Zelebrieren des rheinischen Brauchtums zur Freude der Belegschaft wieder stattfinden konnte.
FCCP, Präsident und Butze, ein dreifach donnerndes Kowelenz olau! Kowelenz olau! Kowelenz olau!
Karneval 1975, Foto: Jansen
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.
Real Cases und Witziges. (Folge 19)
REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Der (fiktive?) Polizist Andreas Müller erinnert sich in unserer „real-cases-Serie“ an seine polizeiliche Dienstzeit. Er blickt zurück auf „Streifengänge“ als Schutzpolizist und spektakuläre Ermittlungen bei der Kripo, aber auch auf „private“ Ereignisse im Beruf, die ihm sehr viel Spaß bereitet haben. Da Müller als NÖEB (nicht öffentlich ermittelnder Beamter) später bei verdeckten Ermittlungen im Drogenmilieu eingesetzt war, möchte er seine wahre Identität verbergen. Er bietet uns jedoch einen „unverblümten“ Blick hinter die Kulissen des Polizeialltags in jener Zeit „als die Polizei noch Käfer fuhr“. Müller (Gitarrist der ehemaligen Syndikatsband deren Name ja auch „Streng geheim“ war) möchte aus Angst vor Repressalien und drohenden Dienstordnungsverfahren (Verstoß gegen die „Ormetà“ und „Beschmutzung des Berufsstandes“) weiterhin „unter dem Asphalt leben“. Müller denkt an kuriose Begegnungen, außergewöhnliche Ermittlungsmethoden und effektive Überwachungsstrategien und an Menschen, die der Polizei nicht immer freundlich begegnet sind. Er ist „der festen Überzeugung“ (so reden Politiker auch immer) er sei stets „Freund und Helfer“ für Menschen in Notsituationen gewesen.
In der närrischen Jahreszeit steigen auch „Butze“ in die „Bütt“
Die fünfte Jahreszeit wirft ihre Schatten voraus und bald werden die ersten Jecken nicht nur in geschlossenen Räumen, sondern auch auf den Straßen tanzen, denkt Andreas Müller, als ihm bei der morgendlichen Lektüre der Rhein-Zeitung das Foto mit hübschen Mädchen einer Koblenzer Ballettschule über eine Karnevalssitzung nicht nur „ins Auge springt“. Der pensionierte Polizeibeamte erinnert sich noch gut an die Schwerdonnerstagsitzungen des CCPP (Carnevals-Club-Polizei-Präsidium) in der Kantine vom „Mutterhaus der Polizei“. Polizeipräsident Helmut Wintrich (auch Party-Präsident genannt) war „dem rheinischen Karneval freundlich gesinnt“ und genoss jedes Jahr seine Festnahme durch die Stadtsoldaten des Prinzen (siehe Foto). Und so begannen bereits Monate vor den närrischen Tagen –mit ausdrücklicher Erlaubnis des Dienstherrn während der regulären Dienstzeit - die ersten Vorbereitungen. Einige Karnevalsjecken entwarfen Büttenreden, andere probten akrobatische Tanzeinlagen und die Hausmeister kümmerten sich um Technik und Aufbau einer großen Bühne für den „Elferrat“. Besonders kreativ war Molly vom Erkennungsdienst, der nach einem Motiv der „Münz“ - dem berühmt berüchtigten Koblenzer Altstadt-Revier – mit Blick auf die „große Schwester“ in Hamburg „Koblenzer „Davidwache“ genannt – jedes Jahr außergewöhnliche Karnevalsorden „bastelte“. Diese Orden sind bei Koblenzer Karnevalisten immer noch als „Sammlerobjekte“ begehrt. Einer der Höhepunkte (sage man damals schon high-light?) war Müllers Auftritt mit dem CCPP-Trio, das jedes Jahr den „Bullenstall“ zum Toben brachte. Müller sammelte im „Berichtsjahr“ lustige (teils noch unbekannte) Ereignisse des vergangenen Jahres und schrieb Texte, die das Trio mit bekannten Songs und Karnevalsliedern auf der Bühne präsentierten.
Zu dieser als „närrischer Geheimtipp“ bekannten Veranstaltung (heute würde man Event sagen) wurden ausschließlich befreundete Behörden eingeladen. Nachdem jedoch im Zuschauerkreis mehrere „amtsbekannte“ Personen (Loddel, Luder und Lolitas) erkannt wurden, musste der Verkauf der Eintrittskarten und der Zutritt (gefälschte Karten?) kontrolliert werden, denn Müller hatte in einem Song das Leben einer bekannten Koblenzer Lebedame (datt Kowelenzer Nitribitt, iss su goldisch in der Mitt).
Aber er hatte auch harmlosere Texte verfasst, unter anderem auf die Melodie „Heile heile Gänsche“ eines bekannten Karnevalslieds des Mainzer „Fassenachters“ Ernst Neger ein Schunkellied (Anmerkung. Neger darf man schreiben, weil es ein Familienname ist).
Wie schnell gieht doch e Johr vorbei, unn eh mir uns umsehn,
iss Fassnacht wieder do, unn mir stien off der Bühn.
Dat Liedeche watt mir mitgebracht,
datt dot erst rischtisch klinge,
wenn alle Butze hei im Saal,
dä Refrain mit uns don singe:
unn jetz kütt et:
KNEIF DIR IN DE BOBBES, STELL DICH OFF DE KOPP,
LOS DIE POPPE DANZE, WALZER UNN FOXTROTT.
DENN DAT KURZE LEWE GIEHT VIEL ZO SCHNELL VORBAII,
UNN WENN DE DANN BEIM PETRUS BISS, ISS AUS MIT NARRETEI! OLAU!
Anmerkung der Redaktion. SYNDIES, für die „Kowelenzer Platt“ eine Fremdsprache ist, und „Rechtschreibfahndern“ bietet der Autor eine Übersetzung an. Anfragen gerne per E-Mail
Foto: Gerd Schuth
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.
Real Cases und Witziges. (Folge 18)
REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Bereits seit 17 Artikeln der KRIMIPEDIA-Serie „Real cases“ gewährt uns Jörg Schmitt-Kilian einen Blick hinter die Kulissen des wahren Polizei-Alltags. Seit drei Folgen berichtet er über einen seiner „anrührendsten Fälle“, wie Fernsehmoderator Dr. Wieland Backes den Film JENNY und das anschließende Interview mit unserem SYNDIKATS-Kollegen ankündigt. Heute erinnert sich Schmitt-Kilian an ein „unappetitliches“ Erlebnis im Rahmen der Ermittlungen gegen die Heroindealerin Jenny Fischer (im Film dargestellt von Julia Richter).
Jenny – Fixerin auf Männer-WC
Da mich in der Kleinstadt hunderte Kilometer von Koblenz entfernt niemand kannte konnte ich als sogenannter „NOEB“ (nicht öffentlich ermittelnder Beamter) verdeckt ermitteln und hautnah beobachten, wie die Dealerin einem Mädchen auf dem Bahnhofsvorplatz mehrere pac Heroin übergab. Da Jenny bei jedem Deal die Umgebung abcheckte und in meine Richtung blickte steuerte ich zielgerichtet auf die Bahnhofstoilette zu, denn wer unentdeckt beobachten will darf selbst nicht erkannt werden. Vor dem Männer-WC wartete ein schmächtiges Kerlchen in einem blauen Blouson und zog nervös an einer Zigarette. Ein kräftiger Mann in orangefarbenem Overall versperrte mir den Zutritt und murmelte „dringende Wartungsarbeiten“ aber dem Mann in dem blauen Blouson genehmigte er den Zutritt und flüsterte „Letzte Kabine“. Ich ahnte noch nicht, dass sich die teils minderjährigen Mädchen in den Kabinen der Männertoilette mit „blowjobs“ das Geld für den Stoff verdienten, und verzichtete auf eine Auseinandersetzung mit dem „Türsteher“. Hätte ich dem Zuhälter meine Kripomarke gezeigt, wäre ich „verbrannt“ und hätte nicht mehr verdeckt ermitteln können. Als ich den „Rückzug antrat“, kam ein Mädchen aus der Toilette gerannt und erbrach sich vor meinen Augen. „Was klotzt du so? Verpiss dich!“ schrie sie mich an, und mir fiel in dem Moment nur das Wort „Mahlzeit“ ein. Mein Magen rebellierte, aber nicht wegen der unappetitlichen Szene. Da hatte ich Schlimmeres erlebt, aber was mich seinerzeit berührte: einige der heroinabhängigen Mädchen gingen noch zur Schule, waren nur unwesentlich älter als meine Söhne.
Anmerkung: Dieser wahre Kriminalfall wurde vom SWR in der Fernsehserie „Kommissare Südwest“ mit dem Titel JENNY (in der Hauptrolle Julia Richter) verfilmt. Andreas Herder spielte die Rolle von Jörg Schmitt-Kilian, der auf eine eigne Rolle verzichtet hatte. Eine DVD und Interview mit Dr. Wieland Backes (SWR-Nachtcafé) kann zum Preis von 14,85 €, (inkl. Versandkosten) beim TZ-Verlag bestellt werden.
© Fotos: SWR media, Drehbuchauszug: Benedikt Röskau
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.
Real Cases und Witziges. (Folge 17)
REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Unser SYNDIKATS-Mitglied Jörg Schmitt-Kilian (Ex-Drogenfahnder und KHK) erinnerte sich in den letzten Real Case Artikeln an seine ersten Dienstjahre bei der Schutzpolizei und später an verdeckte Einsätze im Rauschgiftkommissariat. Dort wechselte er die Uniform mit Latzhose, Schimanski-Jacke, Cowboystiefeln und anstelle des militärisch kurzen Haarschnitts trug er schulterlange Haare, Vollbart und ließ sich zwei Ohrringe stechen. Schmitt-Kilian ermittelte verdeckt bei Open-Air-Festivals auf der „Loreley“ hoch über dem Rheintal, bei „Rock am Ring“ in der Eifel auf dem Nürburgring und beim Techno-Event „Nature One“ im Hunsrück. An der rechten Wade hatte er in einem speziellen Holster einen kleinen Revolver mit 2 Patronen für den Worst Case umgeschnallt. Damit er vor einem Schusswaffengebrauch nicht seine Hose nach unten ziehen musste, trug er bei diesen Sondereinsätzen eine sogenannte „Schnell-Fi..-Hose“ mit einem unteren Reißverschluss. Ab Real Case Nr. 15 wirft Schmitt-Kilian einen Blick hinter die Kulissen der Produktion des Fernsehfilms JENNY, den der SWR nach einem wahren Fall aus einem von Schmitt-Kilians Erstlingswerken verfilmt hat. Die inzwischen sehr bekannte Julia Richter spielt die Heroindealerin Jenny Fischer und Andreas Herder schlüpft in die Rolle von Kriminalhauptkommissar Schmitt-Kilian. Heute erinnert sich unser langjähriges SYNDIKATS-Mitglied an dieses Betäubungsmittelverfahren bei dem die Drogenfahnder mehr als nur eine Überraschung erlebten.
Jenny und die Mutter der Fixerin
Im letzten Artikel berichtete ich über die ersten kriminaltaktischen Maßnahmen (Aufschalten einer Telefonüberwachung nach richterlichem Beschluss, Antrag auf Erstellen eines „Bewegungsbildes“ durch eine Observationsgruppe des MEK) in dem Ermittlungsverfahren gegen eine (bis dato polizeilich nicht in Erscheinung getretenen) Jenny Fischer wegen Heroinhandels. Wir konnten inzwischen weitere Puzzleteile zu einem – leider noch unvollständigen und nicht beweiskräftigen - Bild zusammensetzen. Nach dem aktuellen Ermittlungsstand wäre es ohne die Sicherstellung einer nicht geringen Menge Drogen schwierig, der Dealerin den gewerbsmäßigen Handel gerichtsverwertbar zu beweisen und in dem Fall bestünde die Gefahr, dass die Frau nach der Vorführung beim Haftrichter, wieder „auf freien Fuß gesetzt“ würde
Bei dem Abhören von Jennys Telefongesprächen erfuhren wir noch vor dem ersten Einsatz der MEK-Gruppe die Rückkehrzeit der Dealerin nach ihrer „Amsterdamer Einkaufsfahrt“ und observierten den Bahnhof. Jenny stieg nach ihrer Ankunft sofort in ein - offensichtlich bereits telefonisch bestelltes – Taxi, das ohne Zwischenziel auf direktem Weg den abseits des Ortes gelegenen Aussiedlerhof der Familie Schrader ansteuerte. Dort wohnte Erika Schrader, die bereits öfter mit der Dealerin telefoniert hatte, wobei aus den Gesprächen jedoch nicht erkennbar war, welche Beziehung die Mutter einer Heroinkonsumentin zu der Lieferantin des Heroins für ihre Tochter Sabine hatte. Ich wusste aus Sabines Kriminalakte, dass deren Bruder Ben vor einigen Jahren an einer Überdosis verstorben war. Vermutlich suchte die Mutter den direkten Kontakt zu der Dealerin damit ihre Tochter regelmäßig Heroin mit dem gleichen Wirkstoffgehalt erhält und Sabine sich nicht wie ihr Bruder beim Konsum einer Heroinsubstanz mit höherem Reinheitsgehalt oder vermischt mit einer anderen Substanz unabsichtlich den „goldenen Schuss“ setzt. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt den wahren Grund dieser Beziehung geahnt, hätte ich die Dealerin vermutlich vor dem Tod eines jungen Mädchens nach einer Überdosis festgenommen.
Zurück zur aktuellen Situation: bei der Ankunft auf dem Bauernhof bat Jenny den Taxifahrer offensichtlich kurz zu warten. Sie übergab einer Frau, bei der es sich vermutlich um Frau Schrader handelte, an der Haustür eine Tüte. Aufgrund der großen Entfernung konnte ich mit dem Fernglas die Situation jedoch nicht genau erkennen. Nach einem kurzen Gespräch ließ sich Jenny von dem Taxi auf direktem Weg zurück in ihre Wohnung fahren. Somit wurde unser Verdacht, Jenny würde das Heroin in einem Erddepot außerhalb bunkern, nicht bestätigt. Entweder hatte sie es vor dem Besteigen des Taxis in einem Schließfach im Bahnhof gebunkert oder sie würde die eingekaufte Menge in ihrer Wohnung deponieren. Meiner Meinung nach war sie aufgrund ihres bisherigen konspirativen Verhaltens zu clever, um eine größere Menge mit sich zu führen, mit der wir die Dealerin bei einer Kontrolle als „gewerbsmäßig Handeltreibende“ überführen könnten.
Andreas Herder als Jörg Schmitt-Kilian
Übergabe Schraderhof
© Fotos: SWR media, Drehbuchauszug: Benedikt Röskau
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.
Real Cases und Witziges. (Folge 16)
REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Unser SYNDIKATS-Mitglied Jörg Schmitt-Kilian (Ex-Drogenfahnder und KHK) erinnerte sich in den letzten Real Case Artikeln an seine ersten Dienstjahre bei der Schutzpolizei und später an verdeckte Einsätze im Rauschgiftkommissariat. Dort wechselte er die Uniform mit Latzhose, Schimanski-Jacke, Cowboystiefeln und anstelle des militärisch kurzen Haarschnitts trug er schulterlange Haare, Vollbart und ließ sich zwei Ohrringe stechen. Schmitt-Kilian ermittelte verdeckt bei Open-Air-Festivals auf der „Loreley“ hoch über dem Rheintal, bei „Rock am Ring“ in der Eifel auf dem Nürburgring und beim Techno-Event „Nature One“ im Hunsrück. An der rechten Wade hatte er in einem speziellen Holster einen kleinen Revolver mit 2 Patronen für den Worst Case umgeschnallt. Damit er vor einem Schusswaffengebrauch nicht seine Hose nach unten ziehen musste, trug er bei diesen Sondereinsätzen eine sogenannte „Schnell-Fi..-Hose“ mit einem unteren Reißverschluss. Ab Real Case Nr. 15 wirft Schmitt-Kilian einen Blick hinter die Kulissen der Produktion des Fernsehfilms JENNY, den der SWR nach einem wahren Fall aus einem von Schmitt-Kilians Erstlingswerken verfilmt hat. Die inzwischen sehr bekannte Julia Richter spielt die Heroindealerin Jenny Fischer und Andreas Herder schlüpft in die Rolle von Kriminalhauptkommissar Schmitt-Kilian. Heute erinnert sich unser langjähriges SYNDIKATS-Mitglied an dieses Betäubungsmittelverfahren bei dem die Drogenfahnder mehr als nur eine Überraschung erlebten.
Jenny – eine eiskalte Dealerin mit zwei Gesichtern (2)
Bei der Auswertung der Telefongespräche zwischen der Heroindealerin Jenny Fischer und ihren meist minderjährigen „Kundinnen“ konnten wir nicht in Erfahrung bringen, wo die junge Frau ihre Drogen einkauft und ob Jenny nach ihrer Rückkehr aus Amsterdam „den Stoff bunkert“ oder die komplette Ware an eine dritte Person übergibt.
Wir hatten uns mit Blick auf den Marktplatz und das Café Lautrec (Treffpunkt und „Wartesaal“ der Fixerinnen) im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses eine KW (konspirative Wohnung mit Standfernrohr, Videoaufzeichnung und Kamera) angemietet. Wegen der langen Heimfahrt vom „neuen“ Dienstort (mehr als hundert Kilometer von Koblenz entfernt) übernachtete ich dort oft auf einer (nicht dienstlich gelieferten) Liege. Eine klassische win-win Situation: der „Dienstherr“ sparte Geld (Übernachtungs- und Reisekosten, Benzinkosten, keine Zahlung der Überstunden für die täglichen Hin- und Rückfahrt) und ich konnte jederzeit nach dem Ertönen eines Anrufsignals von der Telefonüberwachungsanlage mitten in der Nacht geweckt werden und außerhalb der regulären Dienstzeit sofort reagieren und weitere Maßnahmen einleiten: Ironie Ende!
Bei den zahlreichen Telefonaten mit einer Erika Schrader wurde selten Klartext gesprochen und es erhärtete sich unser Anfangsverdacht, dass die ältere Frau eine entscheidende „Rolle spielt“. „DIE Schrader“ (wie wir sie fortan nannten) war Mutter einer der Heroinkonsumentinnen, die von Jenny Fischer mit dem Stoff versorgt wurden. Die alleinerziehende Mittfünfzigerin wohnte mit ihrem dementen Vater und ihrer stark heroinabhängigen Tochter Sabine auf einem Aussiedlerhof. Sabines Bruder Ben war vor einigen Jahren an einer Überdosis Heroin gestorben. Seinen „Lieferanten“ konnten wir einen Tag später festnehmen und er wurde als „Mörder auf Raten“ (wie es der Richter im Urteilsspruch formulierte) zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Hatte Jenny Fischer das „Geschäft“ des noch in der Justizvollzugsanstalt „einsitzenden“ Heroindealers übernommen, um die jugendlichen Abhängigen in diesem ländlichen Bereich weiterhin mit Stoff zu versorgen?
Aufgrund der Alleinlage des Schraderhofes mitten im Wald wäre eine Observation durch das MEK schnell „verbrannt“, sodass ich mit Rucksack und Wanderstiefel allein die Örtlichkeit erkundete. Aber dennoch forderte ich beim Landeskriminalamt eine Observationsgruppe des MEK an. Bei den Telefonaten unterhielten sich „DIE Schrader“ und Jenny über die Abfahrt- und Ankunftszeiten der Züge. Die Kollegen sollten (zunächst ohne Zugriff) ein „Bewegungsbild“ über eine Einkaufsfahrt erstellen. Auftrag: Identifizierung der Lieferanten in den Niederlanden und aller Kontakte nach einer „Einkaufsfahrt“ sowie Lokalisierung eines möglichen „Bunkers“. Die durch Observationsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse würden unsere weiteren kriminaltaktischen Maßnahmen beeinflussen. Ich musste unbedingt den richtigen Zeitpunkt für einen erfolgreichen Zugriff treffen, um bei der Festnahme beweiskräftiges Material (eine nicht geringe Menge Drogen) sicherzustellen.
Jenny fuhr fast wöchentlich mit dem Zug von dem Bahnhof (direkt gegenüber ihrer Wohnung) nach Amsterdam. Bereits während ihrer Abwesenheit gingen viele Anrufe ein, die sich mit zeitlicher Nähe der von den Fixerinnen sehnsüchtig erwarteten Rückkehr, steigerten. Der Gesprächsverlauf nach Jennys Rückkehr war identisch. „Hast du weiße T-Shirts mitgebracht?“ „Wieviel brauchst du?“ Meist wurden ein bis drei pac (Konsumportionen) bestellt und Uhrzeit und Übergabeort auf dem Marktplatz in der Nähe von Jennys Wohnung vereinbart. Die Mädchen (zwischen 13 und 19 Jahre alt) jagten sich die Spritze auf der Bahnhofstoilette oder der Toilette des Café Lautrec am Marktplatz in die Venen
© SWF media / Kunz
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.
Real Cases und Witziges. (Folge 15)
REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Unser SYNDIKATS-Mitglied Jörg Schmitt-Kilian (Ex-Drogenfahnder und KHK) erinnerte sich in den letzten Real Case Artikeln an seine ersten Dienstjahre bei der Schutzpolizei und später an verdeckte Einsätze im Rauschgiftkommissariat. Dort wechselte er die Uniform mit Latzhose, Schimanski-Jacke, Cowboystiefeln und anstelle des militärisch kurzen Haarschnitts trug er schulterlange Haare, Vollbart und ließ sich zwei Ohrringe stechen. Schmitt-Kilian ermittelte verdeckt bei Open-Air-Festivals auf der „Loreley“ hoch über dem Rheintal, bei „Rock am Ring“ in der Eifel auf dem Nürburgring und beim Techno-Event „Nature One“ im Hunsrück. An der rechten Wade hatte er in einem speziellen Holster einen kleinen Revolver mit 2 Patronen für den Worst Case umgeschnallt. Damit er vor einem Schusswaffengebrauch nicht seine Hose nach unten ziehen musste, trug er bei diesen Sondereinsätzen eine sogenannte „Schnell-Fi..-Hose“ mit einem unteren Reißverschluss. Ab Real Case Nr. 15 wirft Schmitt-Kilian einen Blick hinter die Kulissen der Produktion des Fernsehfilms JENNY, den der SWR nach einem wahren Fall aus einem von Schmitt-Kilians Erstlingswerken verfilmt hat. Die inzwischen sehr bekannte Julia Richter spielt die Heroindealerin Jenny Fischer und Andreas Herder schlüpft in die Rolle von Kriminalhauptkommissar Schmitt-Kilian. Heute erinnert sich unser langjähriges SYNDIKATS-Mitglied an dieses Betäubungsmittelverfahren bei dem die Drogenfahnder mehr als nur eine Überraschung erlebten.
Ich war nach dem Studium als junger Kommissar im Rauschgiftkommissariat „überörtlich zuständig“ für die Bekämpfung der organisierten BTM-Kriminalität im nördlichen Rheinland-Pfalz und Richtung Süden bis Bingen sowie für den Hunsrück und die Region entlang der Nahe. In einer Kleinstadt in unserem Zuständigkeitsbereich hatten die Kollegen der örtlichen Dienststelle eine Jenny Fischer (Name geändert) im Visier. Die junge Frau sollte Heroin an Mädchen im Alter zwischen 13 und 19 Jahren aus dem Ort und den umliegenden Dörfern verkaufen. Bei der „büromäßigen“ Überprüfung wurden keinerlei Erkenntnisse gewonnen. Jenny Fischer war „aktenmäßig clean“ und aus polizeilicher Sicht „ein unbeschriebenes (weißes) Blatt“. Den Grund würden wir erst viel später erfahren, fast zu spät. Ich fragte mich bereits zu Beginn der Ermittlungen, wieso eine Frau ohne Vorstrafen im BTM-Recht derart professionell ihre Heroingeschäfte abwickeln kann. Bei meinen verdeckten Ermittlungen in der örtlichen Drogenszene konnte ich erfahren, dass die Dealerin (ohne Fahrerlaubnis und Auto) regelmäßig mit dem Zug nach Amsterdam fährt. Da in der kleinen Ortschaft eine Observation der Verdächtigen schnell „auffallen“ würde, beantragte ich bei der Staatsanwaltschaft einen richterlichen Beschluss für eine Telefonüberwachung. Diese ist nur bei Katalogstraftaten zulässig und auch nur in den Fällen, wenn bisherige ermittlungstaktischen Maßnahmen für eine beweiskräftige Überführung erfolglos waren. Übrigens dürfen außer den Katalogstraftaten die meisten der durch die TÜ bekanntgewordenen Delikte nicht strafrechtlich verfolgt werden (Beweisverwertungsverbot!). Über die zahlreichen Überraschungen und eine ungeahnte Wende werde ich in den nächsten Real Cases Artikeln berichten. Es wird spannend. Und wahr. Versprochen!
© SWR media / Kunz
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.