Waldeck
Jürgen Heimbach

Unionsverlag

Taschenbuch

ISBN 978-3-2930-0607-2

19,– € [D], SFr. 26,– [CH], 19,60 € [A]

Silvia will ausbrechen aus der biederen Welt ihres Vaters, in der sie nichts erwartet als die immergleichen miefigen Tapeten. Als sie in seinen Unterlagen eine erschütternde Entdeckung macht, muss sie endgültig verschwinden. Es zieht sie auf das Waldeck-Festival, wo eine junge Generation mit Gitarren und Folksongs aufbegehrt: Gegen den Starrsinn der Alten und die verbohrten Strukturen der Nachkriegszeit.



Währenddessen wittert der in Ungnade gefallene Journalist Ferdinand Broich endlich eine neue Story: Eine Frau will einen ehemaligen SS-Arzt auf der Straße erkannt haben. Doch als Broich die Zeugin wenige Tage später aufsuchen will, ist die bereits tot.



Eine gefährliche Suche nach der Wahrheit beginnt, in einem Deutschland, dessen dunkle Vergangenheit noch bedrohlich nahe ist.

Jürgen Heimbach

Jürgen Heimbach

1961 in Koblenz geboren und dort aufgewachsen, Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, während des zeitweisen Germanistik- und Philosophiestudiums in Mainz als Regieassistent am Staatstheater Mainz sowie Regisseur einer freien Theatergruppe und Mitbegründer und –betreiber eines Theaters ins Mainz. Ausstellungstätigkeit, Redakteur bei 3sat, diverse Jurytätigkeiten im Bereich Theater, Jugendliteratur und Kriminalfilm. 2008 erschien der Jugendkrimi „Johannes’ Nacht“, 2009 der Kriminalroman „Plötzlicher Tod einer Nutte“, 2011 der Kriminalroman "Chagalls Rache", 2012 der erste Teil einer Nachkriegs-Kriminalroman-Trilogie mit "Unter Trümmrn". Es folgte 2014 der zweite Teil "Alte Feinde". "Offene Wunden" (2016) beendet die Trilogie um Kommissar Paul Koch. "Unter Trümmern" und "Alte Feinde" waren für den Krimi-Blitz der Krimi Couch nominiert. 2019 erschien der Roman noir "Die Rote Hand" im weissbooks Verlag (frankfurt/M.), 2020 die Taschenbuchausgabe im Unionsverlag (Zürich) und das Hörbuch. "Die Rote Hand" wurde im April 2020 mit dem Glauser Preis 2020 als Bester Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet. Der 2021 im Unionsverlag erschienene Kriminalroman "Vorboten" stand auf der Longlist des Crime Cologne Award. Im März 2024 erschien der Kriminalroman "Waldeck, der im Jahr 1964 spielt. "Zudem hat Jürgen Heimbach eine Reihe von Kurzkrimis in Anthologien veröffentlicht.

Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Jürgen Heimbach



Wo schreibst du am liebsten?

An meinem Schreibtisch.

Welcher ist dein Lieblingskrimi?

Den einen gibt es nicht, aber in der Rückschau war ein wichtiger Kriminalroman bzw. Politthriller für mich „Die Akte Odessa“ von Frederick Forsyth, den ich in meiner Jugend mehrfach fasziniert gelesen habe und der sicher mein Interesse für zeithistorische Stoffe mitgeweckt hat.

Dein Lieblingskollege/Lieblingskollegin?

 Welch eine Frage!         

Warum bist du im SYNDIKAT?

Wo sonst gibt es einen Ort bzw. eine „Organisation“, an dem bzw. in der Menschen mit den gleichen Interessen – hier die Kriminalliteratur - zusammenkommen, sich uneigennützig austauschen und zu unterstützen und woraus dann im besten Fall auch noch Freundschaften entstehen? Es ist zumindest selten und diese Erfahrung habe ich im SYNDIKAT gemacht.

Dein Lieblingswort?

 Zwischen.

Dein Sehnsuchtsort?

Am Meer .       

Dein Lieblingsgetränk?

Ein guter trockener Weißwein.    

Dein Lieblingsmord?

Der „Act gratuit“ in „Die Verließe des Vatikan“ von André Gide. 

Wo findest du Ruhe?

Beim Schreiben.

Wo Aufregung?

Beim Schreiben.

Deine persönlich meist gehasste Frage?

 Je nachdem, wer die Frage stellt: wann schreibst du denn neben deinem Brotberuf?        


Leseprobe

Burg Waldeck, 16. Mai 1964
Die Nachmittagssonne stand schon tief über dem Gelände oberhalb der Burgruine Waldeck und betonte die Schönheit des Ortes. Das Grün der großen Wiese, die bewaldeten Berge ringsum, talabwärts die Reste der Burg, von der nur ein paar Mauern und der Turm zwischen den Baumwipfeln herausragten.
Die jungen Menschen, die auf der Wiese saßen und in kleinen Gruppen diskutierten, musizierten, rauchten oder vor einer der Bühnen den Sängerinnen und Sängern lauschten, genossen nach den kühleren Vortagen die wärmende Kraft der Strahlen. Für viele von ihnen fühlten sich diese Tage wie ein Aufbruch an, raus aus dem Leben der Eltern in ihr eigenes, ein besseres, das sie selbst bestimmen und gestalten wollten.

Edgar Winter hatte für diese Gammler, ihre Ideen und Sehnsüchte, ihre Diskussionen und ihre Musik nur Verachtung übrig. Aber er hatte seine Gefühle gut im Griff, dachte an das, was ihn hierhergeführt hatte, wen er suchte, vor allem, was er in seinen Besitz bringen musste. Die Blicke, die ihn in seinem fremd wirkenden Anzug und der Krawatte begleiteten und ihn wie ein Relikt aus einer anderen Zeit wirken ließen, ignorierte er.

Die Musik konnte er nicht ignorieren. Zeilen wie

Gestern Abend, plötzlich im Gewühl

Kam abhanden mir mein Nationalgefühl 

die so und ähnlich überall gesungen wurden, fraßen sich gegen seinen Willen in ihm fest.

Gestern hatte er erfahren, dass sein altes Leben nicht mehr existierte. Er hatte schon mehrmals neu beginnen müssen, aber es hatte immer Konstanten gegeben. Seinen Beruf als Polizist, die Kollegen, auf die er sich verlassen konnte, vor allem seine Frau. Aber jetzt war nichts mehr davon übrig. Fünfhundert Kilometer von diesem Ort im Hunsrück, von dieser Wiese und der Burgruine entfernt war es erloschen.

Sein Suchen hatte ihn vor eine kleine, etwas abseits gelegene Bühne im Hang geführt, wo er einige Momente zuhörte, sich dann zurückzog. Er setzte sich auf einen Holzstumpf, vor sich die immer wieder applaudierenden, manche Stellen mitsingenden Zuhörer, von ihnen verdeckt die Sängerin.

Ihre Stimme zog ihn gegen seinen Willen an.

Dabei achtete er gar nicht so genau auf den Text, nur Fetzen davon drangen in sein Bewusstsein. Black and White, Namen amerikanischer Orte, Birmingham, Alabama, oder Briefträger und Eisenbahnzug.

Es war die Klarheit, die Unbedingtheit in der Stimme der Sängerin, die ihn lockten, die ihm für diesen Moment so etwas wie Trost spendeten und vergessen ließen, was in den letzten Tagen geschehen war.

Er hatte seine Augen geschlossen, um sich der Stimme zu überlassen. Es war ihm, als singe sie nur für ihn.

Und er starb ganz allein

Und er bleibt nicht allein!

Als das Publikum zu applaudieren begann, öffnete er die Augen. Und da stand sie, nicht weit von ihm. Sie erschrak. Nicht vor ihm, ihn hatte sie nicht angeschaut. Ihr Blick richtete sich auf ein Paar, das etwas abseits saß und sich hemmungslos küsste. Aufgeregt sprach sie mit einer jungen Frau neben sich, kurz nur, was Winter dennoch nicht entging. Dann sah er, wie sie sich abrupt umdrehte und davonrannte, die Stufen hinauf zur Wiese. Winter erhob sich.

Er hatte sie gefunden.