Inselfeuer
Sylvia Brandis Lindström


ISBN 978-3-7466-3192-9

Eine Serie von Brandstiftungen und brutalöen Morden erschuettert Öland. In den Augen der meisten gibt es nur einen Verdächtigen: Jorma Brolin, Tischler, Hufschmied und Ölands unumstritten stärkster Mann, denn hier jeder fuerchtet. Doch der Polizei mangelt es an Beweisen. Die Anwältin Alasca Rosengren uebernimmt widerwillig Jormas Verteidigung. Auch sie hat etwas zu verbergen und verstrickt sich immer mehr in sein Netz aus Luegen und geschickter Manipulation.

Empfehlung der Woche

Inselfeuer ist die Empfehlung der Woche der SYNDIKATs-Redaktion vom 06. Juni 2016.

Kritikerstimmen

Einen Prolog, der einem die Gänsehaut gefrieren lässt, gibt es hier nicht. Stattdessen wird von der ersten Seite an die Soziographie einer südschwedischen Insel über einige Generationen hinweg bis in feinste Verzweigungen aufgedröselt, verbunden mit der Darstellung einer Serie von Kriminalfällen bis hin zu ihrer logischen und glaubwürdig folgerichtigen Auflösung. Das ist klassisch-moderne Krimischule, die die Spitzfindigkeiten und Irreführungen etwa einer Agatha Christie getrost hinter sich lassen kann, ohne in den Hyperrealismus kalifornischer (oder inzwischen auch mancher schwedischer) Großstadtkrimis zu verfallen. Moderne Menschen auf der Grenze zwischen den Metropolen, in denen sie studiert haben oder zur Schule gegangen sind und der ländlichen Gegend, aus der sie stammen und in der ihre Vorfahren gelebt haben und teilweise noch leben.
Lesermeinung lovelybooks

Für ein Debut ungewöhlich, lässt sich Inselfeuer alle Zeit, die es braucht, um die Dinge zunächst nachvollziehen (und später verstehen) zu können, die in diesem komplexen Kriminal- und Gesellschaftsroman eine Rolle spielen. Dennoch spielt die Verfasserin nicht mit der Geduld der Leser. Folgerichtig, Baustein für Baustein, setzt sich die Geschichte zusammen, mit ihren Haupt- und teilweise in ihrem Handeln nicht weniger entscheidenden Nebenfiguren. Nichts wird am Ende überflüssig gewesen sein, und selbst die "Pferdeflüsterin" des Romans wird eher einen flüsterleisen Dialog mit dem minderjährigen Sohn der Hauptprotagonisting geführt haben, der schließlich ganz alleine sich selbst, seine Mutter und mit Sachverstand drei Pferde aus einem brennenden Stall rettet.
Lesermeinung lovelybooks

Dass die Verfasserin auf alle Spannung suggerierende vordergründige Knistereffekte ebenso verzichten kann wie auf kalkulierte Irreführungen der Leser oder tumultartige Verwicklungen nach etwa drei Vierteln des Roman, spricht für sie. Eine erwachsene Frau, die alle "Spielchen" und deren Regeln kennt, und die meisten von ihnen wohl auch schon gespielt hat, kann hier, in ihrem Roman, auf sie verzichten. Ich nenne es Reife und Abgeklärtheit als die Grundlagen eines erwachsenen Kriminalromans für erwachsene Leser. Man kann jetzt schon den – beispielsweise – siebten Teil der Krimiserie um die öländische Anwältin Alasca Rosengren phantasieren, was häufig Abnutzungserscheinungen erahnen lässt, aber bei dieser Autorin freue ich mich darauf, und auf jedes einzelne Buch bis dorthin.
Lesermeinung lovelybooks

Drei Fragen an Sylvia Brandis Lindstroem

Wann begann Ihre kriminelle Laufbahn?
Streng genommen 1992 mit dem Erscheinen meines Jugendromans Espanol bei rowohlt Rotfuchs.

Wie viele Verbrechen gehen auf Ihr Konto?
Viele – ausgeführte und lediglich in Gedanken begangene! Die Frage ist, welche schlimmer sind?!

Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?
Das lege ich, da ich fuer den Aufbau-Verlag an einer Serie schreibe, zuweilen meinen beiden Hauptfiguren in den Mund. Die sind nämlich Anwälte – ein Strafverteidiger und eine Opferanwältin!

Leseprobe

2.

An jenem frühen Morgen, an dem Jorma Brolins kompakte Gestalt unerwartet in der Öffnung der Stalltür erschien und diese vollständig ausfüllte, stand Alasca Rosengren bei ihren Pferden und dachte an den Tod. Die beiden alten Stuten hatten müde Augen, ihr Fell war mittlerweile stumpf. Auf ihre Senkrücken passte kein Sattel mehr. Die Fuchstute Rosanne und die braune Bella, die Fohlen ihrer Kindheit, waren inzwischen beide fünfundzwanzig Jahre alt. Alasca ritt sie nicht mehr. Solange ihr Lebenswille ungebrochen war, sollten die beiden Pferde ihr Gnadenbrot bei ihr in Ormöga bekommen.
Wo waren all die Jahre? Nun war ihre Großmutter mit achtundneunzig Jahren die älteste Bewohnerin des Dorfes. Sie hütete all die Geheimnisse von gestern, an die sich außer ihr längst niemand mehr erinnern konnte. Kristian war zwölf und würde demnächst schon niemandes Kind mehr sein. Sie verstand das nicht, vor allem, da sie sich selber noch nicht recht erwachsen fühlte. Das war bislang kaum notwendig gewesen. Hier, in Ormöga, hatte ihre Großmutter sich immer um alles Praktische gekümmert. Das Leben, das ihr in ihrem beruflichen Alltag so viel raue Wirklichkeit vor Augen führte, hatte sich seit ihrer Rückkehr ins Dorf fast wieder in die vertraute Welt ihrer Kindheit verwandelt, in der ihre Großmutter am Küchenfenster stand, ihr morgens nachwinkte und abends in der Küche mit dem Essen auf sie wartete. Im Alvar, das das graue Dorf umgab, war die heilige Stille noch immer dieselbe, der Himmel noch genauso mächtig. Am Ufer des Sundes blieb man immer klein. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Das, was sie nicht erinnern wollte, hatte sie verdrängt, und was sich nicht verdrängen ließ, spornte sie nun beruflich an.
Die Stalltür klemmte, und Jorma Brolin schloss sie mit einem heftigen Ruck. Die Stuten zuckten zusammen.
„Mojn“, murmelte er, stand da mit halboffenem Mund wie bestellt und nicht abgeholt und blickte zu Boden. Sein voluminöser Körper umhüllte ihn wie eine wattierte Montur, in der er sich nur langsam und unbeholfen bewegen konnte. Er machte ein paar Schritte auf sie zu. Sein kahler weißer Kopf ragte nackt und fremd aus den blauen Arbeitskleidern und der dunkelblauen Daunenweste . Als er jung war, hatte er weißblondes, dünnes Haar gehabt, doch er war wie sein Vater Alrik zeitig kahl geworden, was ihm ein brutales Aussehen verlieh. Seine Haut war selbst im Sommer blass. Die kleinen, farblosen Augen lagen tief in seinem Schädel und verbargen sich dicht beieinander. Wer ihn nicht kannte, hätte sich leicht vor ihm fürchten können, und auch allen, die ihn kannten, machte er allmählich wieder Angst.
Drei Brände im Laufe des vergangenen Jahres sprachen ihre eigene Sprache. Brandursache unbekannt, hieß es laut Polizei. Doch damit speiste man die Leute hier nicht ab. Denn dass Nordöland den Festlandpolizisten allzu abgelegen und der Weg dorthin zu lang erschien, das war allgemein bekannt.
Alasca und ihre Großmutter bildeten, was die Vorverurteilung Jorma Brolins betraf, eine Ausnahme im Dorf und seiner näheren Umgebung. Borghild schenkte Gerede niemals Glauben. Sie hatte Jorma aufwachsen sehen und nannte ihn noch immer einen armen Jungen. „Ein Kind, das niemand liebt, muss in die Irre gehen“, konnte sie sagen, wenn von Jorma die Rede war, ohne näher zu erklären, was unter dieser Irre zu verstehen war. Alasca schien es oft, als ob ihre Großmutter aus Anstand Jormas Partei ergriff. Was Borghild wirklich von ihm hielt, war schwer zusagen. Jorma benahm sich ihnen gegenüber immer fair, doch vielleicht war es gerade das: Je mehr Mühe er sich gab, desto schwerer war es, ihn zu mögen.