REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Jörg Schmitt-Kilian (KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, auch als Kinofilm mit Uwe Ochsenknecht) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Amok, Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare veröffentlicht. In seinem Bühnenprogramm MÖRDERISCHES TRIO erklärt Schmitt-Kilian wie der Polizeialltag und „seine“ Kriminalfälle einzelne Szenen in seinen Romanen beeinflussen. Bei dieser literarisch-musikalischen Lesung erzählen Sängerin Anne Courbier und Gitarrist Dirk Steinert (www.jazztag.info) die spannendsten Textpassagen mit thematisch passenden Songs musikalisch weiter.
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SHIT HAPPENS,
nicht nur bei der Festnahme von Cannabisdealern
Ein Dealer, zwei Fahrräder und drei Kilo Heroin
„Es war einmal vor langer Zeit“: so beginnen die meisten Märchen, aber diese Geschichte ist wahr, „so wahr mir irgendjemand dort oben (oder wo immer er/oder sie residieren mag) helfe“.
Es geschah an einem 18. Mai gegen Ende der Siebziger Jahre.
Wieso kann ich mich nicht mehr an das Jahr, aber an das Datum erinnern?
Die Erklärung ist nachvollziehbar, besonders für diejenigen, die auf das Wohlwollen von Vorgesetzten (jene Förderer oder Verhinderer der dienstlichen Karriere) bei der nächsten Beurteilung hoffen und früher als andere befördert werden wollen.
Am 18. Mai feiern einige (wenige) Frauen und Männer im Polizeidienst dieses Datum wie Weihnachten und Geburtstag zusammen, denn nur einmal im Jahr ist am 18 Mai der Tag der Beförderungen von Polizeiangehörigen in Rheinland-Pfalz. Polizeimeister (PM) wurden in den 70er Jahren (da gab es noch den mittleren Dienst) zum Polizeiobermeister (POM) ernannt und durften auf die grüne geflochtene Schulterklappe einen silbernen Stern nähen. Polizeikommissare (PK, ohne Stern auf den beigen Schulterklappen) bekamen den ersten goldenen Stern und durften sich ab sofort Polizeioberkommissar (POK) nennen. Aber der Grundsatz „…nach Eignung, Leistung und Befähigung“ bei der Beförderung von auf Lebenszeit eingestellten Staatsdienern (und damit sind natürlich auch Frauen gemeint, aber in den Siebziger Jahren gab es noch keine Polizeivollzugsbeamtinnen bei der Schutzpolizei) wird nicht immer bei der Auswahl beachtet. Vielmehr beeinflussen persönliche Kontakte, „Wiedergutmachungen“ (weil er/sie beim letzten Mal nicht berücksichtigt werden konnte) oder die unbekannten „Leichen im Keller“ die Entscheidung der Beurteiler (meist Beamte des höheren Dienstes mit goldenen Sternen auf den Schulterklappen, die wir intern „Goldfasane“ nennen). Diese bewegten sich damals meist sehr auffällig, manchmal bunt geschmückt (weiße Handschuhe, weißes Hemd, goldene Kordel an der Schirmmütze, einige mit irgendwelchen Ehrenabzeichnen), aber sie waren weniger beweglich als Fasane. Einige erinnerten sich nicht mehr daran „aus welchem Stall sie kommen“, denn jeder hatte die Laufbahn im mittleren Dienst begonnen. Heute noch klingen dumme Sprüche einiger Dozenten an der Hochschule der Polizei in meinen Ohren. „Die Fraternisierung des mittleren mit dem gehobenen Dienst muss ein Ende haben“ oder „Es werden zu viele Kommissare geduzt“ und die unglaublichste Aussage eines Dienststellenleiters zu einem „frisch gebackenen“ Kommissar. „Nun gehören Sie auch zu den Menschen und ab heute können wir uns duzen.
Ich habe das großzügige Angebot mit dem Hinweis, ich könne einen „erfahrenen Polizeiführer erster Couleur“ nicht duzen, dankend abgelehnt und er hat nicht verstanden, wie ich es gemeint habe.
Die Stellen des höheren Dienstes (Besoldungsgruppen A13-A16, vom Rat bis zum leitenden Direktor) waren in den 70ern „dünn gesät“ und an einem Gymnasium in Rheinland-Pfalz standen mehr Studienräte und Direktoren auf dem Stellenplan als bei der gesamten Landespolizei.
Aber nun zu der Story, die sich durchaus als Szene in einem Roman oder Film eignen würde.
Nach langwierigen Ermittlungen, dem Aufschalten einer Telefonüberwachung und dem Einsatz eines verdeckten Ermittlers konnten wir an jenem 18. Mai das Geschäft über 3 Kilo Heroin (an den vereinbarten Preis kann ich mich nicht mehr erinnern) „eintüten“. Der VE hatte eine Übergabe in einem Stadtpark vereinbart. Da wir aus dem nahegelegenen Gebäude einer WaPo-Station (von uns auch despektierliche „Entenpolizei“ oder Wasserschmutzpolizei genannt, aber die bezeichneten uns ja auch als Hasch-Papies) den Park vom oberen Stockwerk des Gebäudes gut beobachten konnten, hatten wir dort unsere Einsatzleitung eingerichtet. Im Treppenhaus begegneten uns einige Kollegen der Wapo in dienstlich gelieferter Sportkleidung (kurze grüne Hosen, grüne Turnschuhe und weiße Shirts mit Aufdruck „POLIZEI“). Sie schleppten Bierkisten, Grillmaterial, einen Eimer mit Kartoffelsalat und einen riesigen Brötchenkorb nach oben. Unsere Frage nach dem Anlass erübrigte sich aufgrund des Datums. Nach deren Auskunft wurden an diesem Tag sogar drei Beamte der kleinen Station befördert und ich dachte mit Blick auf den Rhein an das Sprichwort „Die einen rudern, die anderen angeln“.
Aber zurück zum Einsatz des Rauschgiftkommissariats mit Unterstützung einer Observationsgruppe des MEK (Mobiles Einsatz Kommando). Nachdem der VE dem Dealer das Geld (deponiert im Kofferraum des auf dem Parkplatz abgestellten amerikanischen Straßenkreuzers) gezeigt hatte, bat unser „Geschäftsfreund“ den VE kurz auf ihn zu warten. Wir informierten die weiträumig um den Stadtpark wartenden MEK-Observanten (das Kommando hatte eine sogenannte „Glocke“ aufgebaut), dass der Zugriff zeitnah erfolgen könnte. Zu unserer Überraschung kam der Dealer bereits nach wenigen Minuten wieder zurück, aber nicht mit dem Stoff, sondern mit zwei Fahrrädern. Er forderte den ebenfalls erstaunten VE auf mit ihm in den nahegelegenen Wald zu radeln. Wir hatten bei der Anbahnung des Geschäftes nicht mit einer derart cleveren Strategie des aus unserer Sicht „einfach strukturierten“ Heroinverkäufers (das war noch nett formuliert) gerechnet, aber Man(n) täuscht sich nicht mehr als in Menschen! Da wir bei diesem Einsatz mit einer geplanten „Lösung vor Ort“ keine Fahrräder mitgeführt hatten konnten wir die beiden weder mit Fahrzeugen noch auf „Schusters Rappen“ verfolgen, denn wer unerkannt observieren will, darf selbst nicht erkannt werden. Die beiden radelten nun - wie zwei gute Freunde - an diesem sonnigen Tag in Richtung eines Baggersees, wo die drei Kilo übergeben werden sollten. Für den Transport hatte der Dealer an seinem Fahrrad eine Satteltasche befestigt. Da der Geldkoffer noch im Auto deponiert war, konnten wir den Dealer nun doch noch festnehmen und ermöglichten dem VE die Flucht. In der Hektik des Geschehens trat er so kräftig in die Pedale, sodass die Kette des alten Fahrrades riss und er zu Boden stürzte. Da wir dem Dealer sofort nach der Festnahme eine Pudelmütze (mit Schlitz nach hinten) übergezogen hatten, konnte er nicht erkennen, dass die Verfolger dem Gestürzten wieder auf die Beine stellten und so seine Flucht „per pedes“ ermöglichten.
Fotos privat:
Schulterklappen mit den Dienstgradabzeichen PM, POM und PHM,
Das Team nach erfolgreichem Abschluss des Einsatzes als Erinnerung für die Familienalben.