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Agenten und Agentinnen umgibt immer etwas Geheimnisvolles. Nicht nur in der Welt der Spionage, sondern auch im Literaturbetrieb. Sie werden geschätzt und gefürchtet, bereiten vor oder vermitteln, ertasten Trends, steuern Karrieren und schieben ihre Schützlinge immer möglichst weit ins Rampenlicht. Sie sind da und doch nicht da. Weil sie so leise sind.

Lars Schultze-Kossack war einer dieser geräuschlosen Steuermänner, und jeder der ihn kannte, weiß, dass das durchaus wortwörtlich gemeint ist: Lars sprach so leise, dass es nicht immer leicht war, ihn zu verstehen, vor allem, wenn er zwischendurch einen kleinen Gag vernuschelte, sich selbst köstlich darüber amüsierte und du dich gefragt hast: Was zum Teufel hat er gerade gesagt?

Lang, schlaksig, blass war er. Wie man sich Agenten so vorstellt. Kein Mann der Auseinandersetzung, keiner, der die Schlacht liebte, der Brücken abriss oder die Tür krachend ins Schloss warf. Lars liebte den Ausgleich, die Verständigung, den Deal, mit dem beide leben konnten: Verlag und Agent. Hamburgisch besonnen, könnte man sagen, dabei war er gar kein Hanseat, sondern gebürtiger Kölner. Die für vieles berühmt (oder berüchtigt) sind, aber sicher nicht für ihr leises Auftreten.

Seine spätere Frau Nadja Kossack gründete die Literarische Agentur Kossack 1995. Einziger Autor damals: Gisbert Haefs. Und gleich ein großer Deal, der Mut machte. Es kamen weitere Autoren und Autorinnen dazu, bis heute sind es über 250.

Lars tauchte dort 2005 auf. Er verliebte sich in Nadja und sie in ihn – 2007 heirateten sie. Bald war er der Geschäftsführer, was Nadja beim 25jährigen Bestehen der Agentur grinsend als freundliche Übernahme kommentierte.

Es zeigte sich schnell, dass Lars wie geboren war für diesen Beruf, der geschäftliches Geschick, aber auch ein gezügeltes Ego verlangte, denn, ja: so viel Wahrheit muss sein, nicht alle Autoren und Autorinnen gehen mit Ablehnungen oder Enttäuschungen souverän um. Da braucht es schon mal diplomatisches und psychologisches Geschick, wenn man selbst nur dachte: schick uns doch einfach ohne Abendessen ins Bett und beende damit das Gejammer.

Die Agentur jedenfalls wuchs unaufhaltsam. Bald kamen weitere Bestseller dazu, allen voran Peter Wohlleben, aber auch Anne Jacobs, Carsten Sebastian Henn, Stefan Aust, Sophie Bonnet, Jan Beck, Christine Brand oder Romy Fölck (um nur einige stellvertretend zu nennen). Lars betreute sie und uns alle, las alles, und darüber hinaus noch viele andere Bücher, einfach so zum Spaß. Es gab eigentlich kein Buch, kein Genre, über das er nichts sagen konnte. Dazu kamen Verlage, 18 an der Zahl, deren exklusive Vertretungen er übernahm, so dass man sich fragte, wie er das eigentlich alles schaffte. Aber er schaffte es. Genau wie die unzähligen Dienstreisen, zwischen Hamburg, Pellworm und dem Rest Europas.

Das war sein Leben: der Agent, der überall war. Der jeden kannte und den jeder kannte. Leise und verbindlich. Kränkelig sah er eigentlich immer aus, auch deswegen konnte er wohl seine Krankheit so lange im Verborgenen halten. Bis er zwei Wochen vor seinem Tod auf der Intensivstation landetet. Erst da erfuhren wir, was mit ihm los war. Ein überaus seltener DNA-Defekt hatte Lunge und Leber angegriffen. Hoffnung auf Heilung: keine. Lebenserwartung: nur noch Tage.

Am Mittwoch, dem 03.04.24, kurz nach neun Uhr gab sein geschwächter Körper auf. Agenten sterben einsam, heißt ein berühmter Film. Nicht in seinem Fall: Seine Frau Nadja war bei ihm. Zuvor auch seine drei Kinder. Sowie einige seiner Autoren und Autorinnen.

Die literarische Welt hat einen großen Agenten verloren. Nadja ihren geliebten Ehemann, Liv, Leonard und Lionel ihren Vater. Wir werden alle lernen müssen, ohne ihn zu sein.

Andreas Izquierdo