REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Unser SYNDIKATS-Mitglied Jörg Schmitt-Kilian (Ex-Drogenfahnder und KHK) erinnerte sich in den letzten Real Case Artikeln an seine ersten Dienstjahre bei der Schutzpolizei und später an verdeckte Einsätze im Rauschgiftkommissariat. Dort wechselte er die Uniform mit Latzhose, Schimanski-Jacke, Cowboystiefeln und anstelle des militärisch kurzen Haarschnitts trug er schulterlange Haare, Vollbart und ließ sich zwei Ohrringe stechen. Schmitt-Kilian ermittelte verdeckt bei Open-Air-Festivals auf der „Loreley“ hoch über dem Rheintal, bei „Rock am Ring“ in der Eifel auf dem Nürburgring und beim Techno-Event „Nature One“ im Hunsrück. An der rechten Wade hatte er in einem speziellen Holster einen kleinen Revolver mit 2 Patronen für den Worst Case umgeschnallt. Damit er vor einem Schusswaffengebrauch nicht seine Hose nach unten ziehen musste, trug er bei diesen Sondereinsätzen eine sogenannte „Schnell-Fi..-Hose“ mit einem unteren Reißverschluss. Ab Real Case Nr. 15 wirft Schmitt-Kilian einen Blick hinter die Kulissen der Produktion des Fernsehfilms JENNY, den der SWR nach einem wahren Fall aus einem von Schmitt-Kilians Erstlingswerken verfilmt hat. Die inzwischen sehr bekannte Julia Richter spielt die Heroindealerin Jenny Fischer und Andreas Herder schlüpft in die Rolle von Kriminalhauptkommissar Schmitt-Kilian. Heute erinnert sich unser langjähriges SYNDIKATS-Mitglied an dieses Betäubungsmittelverfahren bei dem die Drogenfahnder mehr als nur eine Überraschung erlebten.
Jenny und die Mutter der Fixerin
Im letzten Artikel berichtete ich über die ersten kriminaltaktischen Maßnahmen (Aufschalten einer Telefonüberwachung nach richterlichem Beschluss, Antrag auf Erstellen eines „Bewegungsbildes“ durch eine Observationsgruppe des MEK) in dem Ermittlungsverfahren gegen eine (bis dato polizeilich nicht in Erscheinung getretenen) Jenny Fischer wegen Heroinhandels. Wir konnten inzwischen weitere Puzzleteile zu einem – leider noch unvollständigen und nicht beweiskräftigen - Bild zusammensetzen. Nach dem aktuellen Ermittlungsstand wäre es ohne die Sicherstellung einer nicht geringen Menge Drogen schwierig, der Dealerin den gewerbsmäßigen Handel gerichtsverwertbar zu beweisen und in dem Fall bestünde die Gefahr, dass die Frau nach der Vorführung beim Haftrichter, wieder „auf freien Fuß gesetzt“ würde
Bei dem Abhören von Jennys Telefongesprächen erfuhren wir noch vor dem ersten Einsatz der MEK-Gruppe die Rückkehrzeit der Dealerin nach ihrer „Amsterdamer Einkaufsfahrt“ und observierten den Bahnhof. Jenny stieg nach ihrer Ankunft sofort in ein - offensichtlich bereits telefonisch bestelltes – Taxi, das ohne Zwischenziel auf direktem Weg den abseits des Ortes gelegenen Aussiedlerhof der Familie Schrader ansteuerte. Dort wohnte Erika Schrader, die bereits öfter mit der Dealerin telefoniert hatte, wobei aus den Gesprächen jedoch nicht erkennbar war, welche Beziehung die Mutter einer Heroinkonsumentin zu der Lieferantin des Heroins für ihre Tochter Sabine hatte. Ich wusste aus Sabines Kriminalakte, dass deren Bruder Ben vor einigen Jahren an einer Überdosis verstorben war. Vermutlich suchte die Mutter den direkten Kontakt zu der Dealerin damit ihre Tochter regelmäßig Heroin mit dem gleichen Wirkstoffgehalt erhält und Sabine sich nicht wie ihr Bruder beim Konsum einer Heroinsubstanz mit höherem Reinheitsgehalt oder vermischt mit einer anderen Substanz unabsichtlich den „goldenen Schuss“ setzt. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt den wahren Grund dieser Beziehung geahnt, hätte ich die Dealerin vermutlich vor dem Tod eines jungen Mädchens nach einer Überdosis festgenommen.
Zurück zur aktuellen Situation: bei der Ankunft auf dem Bauernhof bat Jenny den Taxifahrer offensichtlich kurz zu warten. Sie übergab einer Frau, bei der es sich vermutlich um Frau Schrader handelte, an der Haustür eine Tüte. Aufgrund der großen Entfernung konnte ich mit dem Fernglas die Situation jedoch nicht genau erkennen. Nach einem kurzen Gespräch ließ sich Jenny von dem Taxi auf direktem Weg zurück in ihre Wohnung fahren. Somit wurde unser Verdacht, Jenny würde das Heroin in einem Erddepot außerhalb bunkern, nicht bestätigt. Entweder hatte sie es vor dem Besteigen des Taxis in einem Schließfach im Bahnhof gebunkert oder sie würde die eingekaufte Menge in ihrer Wohnung deponieren. Meiner Meinung nach war sie aufgrund ihres bisherigen konspirativen Verhaltens zu clever, um eine größere Menge mit sich zu führen, mit der wir die Dealerin bei einer Kontrolle als „gewerbsmäßig Handeltreibende“ überführen könnten.
Andreas Herder als Jörg Schmitt-Kilian
Übergabe Schraderhof
© Fotos: SWR media, Drehbuchauszug: Benedikt Röskau
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.