Der letzte Spargel
Kriminalroman
Alexa Rudolph
Kommissar Poensgens wohlverdienter Urlaub nimmt ein jähes Ende, als seine ehemalige Vermieterin tot in ihrer Freiburger Wohnung aufgefunden wird – ermordet während der Zubereitung eines Spargelgerichts. Der charismatische Ermittler mit körperlichem Handicap begibt sich zwischen Rebenlandschaften und den Spargelfeldern des Kaiserstuhls auf die Suche nach dem Täter – bis er sich auf einmal selbst im Kreis der Verdächtigen wiederfindet.
Alexa Rudolph
Alexa Rudolph lebt in Freiburg, schreibt und publiziert seit 2006. Zuvor war sie Malerin und Performerin. Heute malt sie mit Worten: Kurzgeschichten, Erzählungen, Gedichte, anekdotische Texte, Romane. Ihre Sprache ist schnörkellos, glasklar und treffend. Ihre Themen: Alltagssituationen, Beziehungsdramen, Lebensentwürfe, oftmals eingebettet in Mordgeschichten. Zitat: "Etwas bricht ein in die sorgsam gepflegte Routine - es ist immer der Tod. Ein kleiner Tod zumeist, der Tod der anderen, den man sich tunlichst vom Halse halten muss..." etc. Angeregt zum Krimischreiben wurde sie durch die Romane der großartigen Patricia Highsmith.
Alexa Rudolph hat zwei erwachsene Söhne, keine Haustiere und keine empfindlichen Pflanzen. In ihrer Freizeit kraxelt sie mit Mann, Rucksack und Fotoapparat im Gebirge, wo die Murmeltiere pfeifen.
Der letzte Spargel ist die Empfehlung der Woche der SYNDIKATs-Redaktion vom 20. August 2018.
Drei Fragen an die Autorin Alexa Rudolph
Warum haben Sie sich für ein Leben mit dem Verbrechen entschieden?
Die Tragödie beginnt mit der großen Liebe und sie endet, wenn alle umgebracht sind, heißt es. Für mich ist das "Leben mit dem Verbrechen" Bekenntnis zur Tragödie und daher literarisch nahrhaft.
Wie viele Verbrechen gehen auf Ihr Konto?
Ich gehe mit meinen Figuren human um, auch wenn sie sich als miese Typen herausstellen sollten. Für den Krimiautor gehören zur Story Verbrechen und moralische Abgründe. Auch für mich. Aber den Teufel werd' ich tun und die an meinen Fingern abzählen.
Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?
Auch ein Kriminalroman ist ein Rollenspiel, das an Attraktivität gewinnt, wenn der Autor gründlich recherchiert, einen interessanten Schauplatz wählt und eine gute Sprache schreibt. Ob regional oder international, der Anspruch ist hoch.
Rezensionen
"Besonderer Fokus liegt auf den liebevollen und versierten Landschaftsbeschreibungen: Dank Rudolphs erfahrenem Blick einer Malerin entsteht vor den Augen des Lesers ein lebendiges Bild. Der letzte Spargel überzeugt auch durch makabren Humor, unterhaltsam-schnoddrigen Ton und eine Vielfalt an Figuren, die alle ihre skurrilen Eigenarten aufweisen. (www.regionale-krimis.de, April 2018)
"So wechselt der Kriminalroman zwischen Spannung, Nachdenklichkeit und Humor." (Magazin: Bergisch Genießen, April 2018).
Leseprobe:
Sie hat mich provoziert und bedroht, und ich habe die Aufforderung zum Tanz angenommen, denkt er, während ihm das Kissen aus den Händen gleitet. Nun liegt es auf dem Boden, und vor ihm liegt Olga mit weit aufgerissenem Mund, sogar ihre Augen sind kreisrund. Er beugt sich zu ihr, so tief, dass er jeden Zahn einzeln erkennen kann. Rechts und links in den Backentaschen glitzern Goldbrücken, und vorne stoßen Ruinen von Zahnkronen aus ihrem bläulichen Kiefer. Überhaupt scheint sich das Bläuliche überall auszubreiten. Lippen und Zunge sind ebenfalls verfärbt.
Mein Gott, was ist mit der Zunge?, denkt er und schaut ihr prüfend wie ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt in den Mund. Olgas Zunge ist anscheinend gewachsen, so sehr viel länger als sonst kommt sie ihm vor. Gewachsen und dann nach hinten weggeklappt, mit einer Rolle rückwärts im Schlund verschwunden.
»Olgalein, du bist an deiner eigenen Zunge erstickt«, stöhnt er, noch außer Atem vom Kampf mit ihr. Gleichzeitig empfindet er eine neue, ungewohnte Ruhe und auch Entlastung. Ja, nicht am Kissen, sondern an der Zunge, ihrer boshaften Zunge, die sie nicht still halten konnte, ist sie … Er nickt mehrmals heftig mit dem Kopf, um sich selbst zu bestätigen. Endlich streckt er sich und atmet durch. Er schmeckt die Zimmerluft, die ihm viel weniger krank und feucht vorkommt als zuvor.
Galuppi steht noch eine Weile an Olgas Bett, er wirkt unentschlossen und wartet. Dann beugt er sich wieder über die Tote und schließt ihr die Augen. Als er auch ihren Mund zuzudrücken versucht, muss er erkennen, dass dieser immer wieder aufklappt.
»Gut, dann eben anders«, flüstert er. Den Nachttisch absuchend, entscheidet er sich für eine Serviette, die voller Obstflecke ist, aber die richtige Größe hat. Er faltet das Quadrat zu einem Dreieck und schlingt es um Olgas Kopf und Kinn. Als Ober- und Unterkiefer zusammenklappen, knackt es. Er zurrt die Serviette fest und macht einen doppelten Knoten. Er beginnt, das Zimmer aufzuräumen. Er wäscht im Badezimmer das Geschirr ab, das noch auf dem kleinen Tisch steht, dann zieht er die Bettdecke über Olgas Gesicht, stellt ihre Pantoffeln ordentlich, stapelt Bücher und Zeitungen, schließt die Vorhänge und löscht die Tag und Nacht brennende Nachttischlampe.
Er zieht die Schublade des Nachttischs auf. Leer. Nur zwei einzelne Patronen rollen ihm entgegen. Im begehbaren Kleiderschrank sucht er nach einem Jackett und einem frischen Hemd und zieht sich um. Die Patronen steckt er in die Tasche des Jacketts.
Er hält inne.
Soll ich?, scheint er sich zu fragen und nimmt entschlossen eine der Reisetaschen, um Olgas Habseligkeiten darin zu verstauen. Sie hat wirklich nicht viel mitgebracht, aber ihr Lieblingskostüm und ein Mantel mit Fuchskragen hängen im Schrank. Auch ein bisschen Wäsche und ein paar Nachthemden.
Er gibt sich Mühe, alles einigermaßen ordentlich zu falten. Als er fertig ist, reibt er sich zufrieden die Hände. Hat er alles? Die Reisetasche ist voll. Er blickt sich um, er weiß nicht recht wohin damit, also stößt er sie unters Bett. Er sieht die heruntergefallene Pistole im Schatten des Bettgestells und streckt sich danach. Er lacht erleichtert auf und schaut im Magazin nach. Es ist leer. Er schiebt die Pistole in die Hosentasche. Als er sich aufrichtet, erkennt er seine Gestalt als Zerrbild im Ankleidespiegel neben der Zimmertür. Er geht darauf zu und tritt so nah heran, dass ihn die Kühle und Glätte des Glases schaudern lässt.
»Du hast sie nicht wie ein primitiver Mörder umgebracht, sie hat dich provoziert. Sie wollte sterben, so oder so«, erklärt er seinem Spiegelbild.
Er bleibt ruhig, wartet auf eine Reaktion. Doch das Spiegelbild antwortet nicht.
»Du«, flüstert er jetzt heftig und drückt seine Stirn gegen das Glas, »sag doch was, rede mit mir!«