Pechstein sieht schwarz
Jutta Profijt

via Tolino Media

Judith Bergmann ist ein Pseudonym von Jutta Profijt

ISBN 978-3-7592-1775-2
August 2024

13,99 € [D]

Pechstein, ehemals »sexiest KHK alive« und kürzlich erblindet, ist zurück im Dienst - jetzt allerdings in der neu gegründeten Einheit Cold Cases im LKA. Einzige Kollegin ist Natalia Becks, frühere Vorzeige-Polizistin im Karrieretief.

In ihrem ersten Fall nehmen sie die Spur zweier Mädchen auf, die fünfzehn Jahre zuvor spurlos verschwanden. Während Pechstein sich hoch motiviert dem Fall widmet, wird Becks mit einem dunklen Geheimnis aus ihrer Vergangenheit erpresst. Die Suche nach dem Erpresser lässt ihr kaum Zeit für die Ermittlung. Allein kann Pechstein den Fall aber nicht lösen. Und so schwankt das Team zwischen Erfolgswillen, Chaos und Kooperation.

Jutta Profijt

© Melanie Grande

Jutta Profijt

wurde mit der Kühlfach-Reihe um Pascha, die rotzfreche Leiche aus der Kölner Rechtsmedizin, international bekannt. Ihr erster nicht-humoristischer Krimi Unter Fremden wurde 2018 mit dem Friedrich-Glauser-Preis als Bester Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet. 2020 erschien Gerecht ist nur der Tod unter dem Pseudonym Judith Bergmann, das mit Pechstein sieht schwarz fortgesetzt wird. Parallel schreibt sie unter dem Pseudonym Pippa Jansen heitere Romane. Ihr Hörspiel Der Ausbruch wurde vom MDR produziert und sowohl dort als auch im Bayerischen Rundfunk mehrfach ausgestrahlt.

Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Jutta Profijt

Judith Bergmann ist ein Pseudonym von Jutta Profijt

Warum bist du im SYNDIKAT?

Weil es die Schnittmenge zwischen „nette Menschen“ und „Krimiautorinnen und -autoren“ ist.          

Dein Lieblingswort?

Subordinationsinsuffizienz.

Wo findest du Ruhe?

In meinem Gemüsegarten (es sei denn, der wird mal wieder vom Maulwurf unterwandert).          

Wo Aufregung?

Auf Straßen ohne Radweg.    

Deine persönlich meist gehasste Frage?

Ist das Buch autobiographisch?



Leseprobe

Pechstein roch abgestandene Luft, eine Mischung aus Muff von altem Papier und heißem Staub, ein Hauch von Parfum. Würzig, harzig, herb.

Holzfäller. Nur ohne den Schweiß.

Pechstein machte zwei Schritte vorwärts, tastete mit Stock und Hand. Geradeaus zwei Schreibtische, die Rückseiten aneinandergeschoben. Die übliche Kunststoffplatte, vermutlich in Standardgrau. Er ging rechts herum, streifte den Papierkorb, ertastete die Stuhllehne - gängiger Polyesterbezug eines gängigen Büromöbels auf Rollen, keine Armlehnen -, hängte seinen Mantel darüber und setzte sich.

»KHK Natalia Becks, willkommen bei den Cold Cases.«

Ihre Stimme war ungewöhnlich tief, klang rau, vielleicht eine Erkältung? Den Namen hatte er schon gehört, erinnerte sich aber nicht, in welchem Zusammenhang.

»KHK Pechstein. Danke.«

»Rechts von dir ist ein Extratisch mit technischem Kram, den hat die Haustechnik hier abgeladen. Keine Ahnung, ob alles da ist.«

»Okay.« Noch immer saß er reglos auf dem Stuhl, den Langstock in der rechten Hand. Der Raum, dessen Abmessungen Pechstein noch nicht erfasst hatte, erdrückte ihn mit seiner Schwärze. Und die Tatsache, dass Becks ihn vermutlich anstarrte, lähmte ihn zusätzlich.

»Nenn mich Becks.«

»Gefällt dir dein Vorname nicht?«

»Meiner schon.«

»Charmant.«

»Glaub nicht, dass ich mir jeden Tag so viel Mühe gebe.«

Pechstein zwang sich, die verkrampften Hände zu lösen und an der Schreibtischkante entlangzutasten, bis er den im rechten Winkel anstoßenden Extratisch erreichte. Zum Tischende, Leerstelle, Garderobenständer. Er klappte den Langstock zusammen, legte ihn ab, drehte sich zurück zum Schreibtisch, Tastatur, Telefon, Kleinkram. So kam er nicht weiter.

»Was genau tun wir hier?«, fragte er.

»Cold Cases beschäftigt sich mit den ungeklärten Tötungsdelikten seit 1970, soweit sie bereits digitalisiert sind.«

Pechstein hatte die Ankündigung des Innenministers über die Einrichtung dieser neuen Taskforce gehört, vor Monaten schon. Dass er selbst hier landen würde, hätte er damals für seinen schlimmsten Albtraum gehalten.

»Präziser?«

»Fallakten durchgehen und auf Vollständigkeit oder Widersprüche prüfen. Feststellen, ob aktuelle kriminaltechnische Möglichkeiten einen neuen Ermittlungsansatz bieten können. Falls ja: Wiederaufnahme der Ermittlung in Kooperation mit der zuständigen Kriminalhauptstelle.«

Pechstein zwang sich zur Ruhe. Über fünfzig Jahre alte Akten durchgehen in der Hoffnung auf einen übersehenen Ansatzpunkt oder einen Querverweis, der in Zeiten ohne Datenbankabgleich nicht aufgefallen war. Oder auf einen Fetzen Leder, Plastik oder Textil, an dem vielleicht ein bisschen Täter-DNA hing, die zum damaligen Zeitpunkt mit den damaligen Methoden nicht analysiert werden konnte. Hunderte, ach was, Tausende Seiten hatte eine ordentliche Mordermittlungsakte. Berichte der Spusi, Zeugenbefragungen, Anwohnerbefragungen, Listen von Fahrzeugen, die dem Modell ähnelten, das irgendwer irgendwo im näheren oder weiteren Umkreis um den Tatort gesehen zu haben glaubte.

»Hast du schon Fälle gefunden, die für eine Wiederaufnahme infrage kommen?«

»Ich bin bisher ausschließlich mit der Bürokratie beschäftigt, die die Einrichtung dieser Einheit mit sich bringt. Du kannst dich also völlig unvorbelastet gleich ins operative Tagesgeschäft stürzen.«

»Auf wie viele Ermittler wird die Taskforce aufgestockt?«

»Wir sind zu zweit. Übrigens habe ich darauf bestanden, dass ein Kopfhörer zu deiner Ausrüstung gehört. Setz ihn auf, damit ich mir die Laberei deines Computers nicht den ganzen Tag anhören muss. Jetzt schau dich in Ruhe um, ich muss zu einer Besprechung.«

Das »schau dich um« war kein Versprecher, dachte Pechstein, das war eine Ansage: Kein Behindertenbonus, keine Schonung. Die Erleichterung darüber überkam ihn wie eine Brandungswelle, in die er sich früher mit Begeisterung hineingeworfen hatte. Er nickte kurz, wobei ihm egal war, ob sie ihn noch sah oder nicht, bevor die Tür hinter ihr zuklappte. Er aktivierte die MiniCam am Bügel der Sonnenbrille, die Geldscheine erkannte oder Texte vorlas. Langsam und methodisch bewegte er sich durch den Raum, stoppte nur, wenn die MiniCam Text erkannte und in Sprache übersetzte. Er las die Beschriftungen auf den wenigen Akten im halb leeren Schrank, fand den Speiseplan der Cantine, wie sich die Gastronomie auf dem Gelände nannte, Verhaltensregeln für den Brandfall. Auf Becks’ Schreibtischunterlage lagen mehrere Zettel mit kryptischen Abkürzungen, die weder die MiniCam noch er interpretieren konnten. Dann wandte er sich seinem Arbeitsplatz zu.

Das Vorlesegerät für gedruckte Schriftstücke funktionierte problemlos, die extra für die Cold Cases programmierte Datenbank war tatsächlich barrierefrei und die Braillezeile für den Computer erinnerte ihn daran, dass er die Blindenschrift trotz Crashkurses bis heute nur sehr schlecht beherrschte. Tatortfotos würden ein Problem bleiben, für das er noch keine Lösung hatte. Aber darum würde er sich kümmern, wenn es so weit war.

Lesungen & Buchvorstellungen

Wann Was Wo
10. Feb. 25
17:00 Uhr
Lesung aus Pechstein sieht schwarz Buchhandlung Leuenhagen & Paris
30161 Hannover