Das Föhr-Geheimnis
Inselkrimi
Doris Oetting
Prolibris Verlag, Kassel
Nach "Das Haus auf Föhr" und "Die Föhr-Affäre" der dritte Roman mit dem Schauplatz Föhr. Alle Romane enthalten in sich abgeschlossene Geschichten, aber Leser meiner ersten beiden Föhr-Romane werden "alte Bekannte" wiedertreffen. In "Das Föhr-Geheimnis" geht es um das Thema Freundschaft und darum, was es für die eigene Zukunft bedeuten kann, wenn man in einer Ausnahmesituation auf die Unterstützung von Menschen setzt, die es nicht gut mit einem meinen.
Klappentext: Eine Leiche im Auto statt Erholung im Strandkorb. Der Kurzurlaub auf Föhr wird für Mona Menkwitz zu einem Horrortrip. Selbstlos steht eine alleinstehende, kauzige Insulanerin ihr bei. Doch nach und nach kommen Mona Zweifel, ob Insas Hilfe bedingungslos ist. Wird ihre schicksalhafte Begegnung in inniger Freundschaft oder in einem neuen Albtraum enden?

Doris Oetting
Geboren bin ich am 30. Mai 1970 in Lübbecke. Seit vielen Jahren wohne ich glücklich verheiratet in Minden. Von Beruf bin ich kaufmännische Angestellte. Mein erstes Buch, einen Familienroman mit Schauplatz Travemünde, habe ich 2016 im Selfpublishing veröffentlicht. Meine folgenden Bücher erschienen danach im Verlag Prolibris: 2018 der Inselroman "Das Haus auf Föhr", 2020 der Krimi "Kalte Liebe in Cuxhaven", 2022 der Inselkrimi "Die Föhr-Affäre" und 2023 ein weiterer Inselkrimi mit dem Titel "Das Föhr-Geheimnis".Darüber hinaus habe ich zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, darunter fünf Kurzkrimis.
2024 war ich Teil des vierköpfigen Orga-Teams für das erste Krimifestival OWL, das zum drittgrößten Deutschlands wurde und zu dem die passende Anthologie "Pickert, Pölter & Pistolen" im KBV-Verlag erschienen ist.
Vom Syndikat wurde ich in die Glauser-Romanjury 2025/2026 gewählt, eine Aufgabe, vor der ich großen Respekt habe, auf die ich mich aber auch sehr freue!
Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Doris Oetting
Wo schreibst du am liebsten?
Zu Hause am Schreibtisch oder bei schönem Wetter auf dem Balkon, oft auch im Park oder in Cafés.
Welcher ist dein Lieblingskrimi?
Rebecca – der Klassiker von Daphne du Maurier.
Dein Lieblingskollege/Lieblingskollegin?
Charlotte Link.
Warum bist du im SYNDIKAT?
Weil es Spaß macht, in einem Verbund mit Gleichgesinnten zu sein und sich auszutauschen und über das Werk und Wirken anderer AutorInnen auszutauschen.
Dein Lieblingswort?
Es gibt kein spezielles Lieblingswort.
Dein Sehnsuchtsort?
Die Nordseeinsel Föhr.
Dein Lieblingsgetränk?
Weiße heiße Schokolade.
Dein Lieblingsmord?
Giftmord.
Wo findest du Ruhe?
Beim Spazierengehen mit einem guten Hörbuch auf den Ohren.
Wo Aufregung?
Wenn ich Nachrichten höre und sehe.
Deine persönlich meist gehasste Frage?
Wann findest du Zeit zum Schreiben? (Weil man immer Zeit für das findet, was man liebt.)
Leseprobe
Kapitel 2
„Was haben Sie gesagt?“
Als die Frau nicht antwortete, packte Insa sie an beiden Schultern und schüttelte sie leicht. „Was Sie da eben gesagt haben, will ich wissen!“ Aber ehe die Fremde antworten konnte, fügte Insa hinzu: „Sie sind ja so durch den Wind, dass Sie gar nicht mehr wissen, was Sie sagen. Also, los jetzt!“ Sie setzte sich in Bewegung und zog die Fremde hinter sich her wie ein verängstigtes Kind am ersten Schultag.
Nach wenigen Minuten tauchten am Anfang eines Landschaftswegs, der von der Straße abbog, die Umrisse eines Autos vor ihnen auf. Es stand ein paar Meter von der eigentlichen Straße entfernt. Die Fremde umklammerte Insas Hand jetzt so fest, dass es schmerzte. Je näher sie kamen, umso sicherer wurde Insa, dass es sich um einen schwarzen Jaguar handelte, denn die markante Kühlerfigur hätte vermutlich jedes Kind erkannt. Das Fahrzeug war unbeleuchtet und schien verlassen, aber auf den ersten Blick unbeschädigt.
Plötzlich riss die fremde Frau sich von Insa los und blieb von einem erneuten Weinkrampf geschüttelt stehen. Insa trat näher an das Auto heran. Der Wagen hatte nicht die geringste Beule, soweit sie das in der Dunkelheit sehen konnte. Wenn es eine Bremsspur gegeben hatte, so war sie in dem bereits vom Regen aufgeweichten Boden nicht mehr zu sehen. Was für ein seltsamer Unfall war das denn? Insa trat zur Fahrertür und spähte durch die Scheibe. Sie sah einen Mann, dessen Oberkörper reglos auf dem Lenkrad lehnte. Vorsichtig versuchte sie, die Autotür zu öffnen, was problemlos gelang. Sollte sie den Verletzten anfassen oder lieber nicht? Herrje, wenn sie doch nur ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse irgendwann einmal aufgefrischt hätte!
„Ist im Auto irgendwo ein Handy? In seinem Jackett vielleicht?“, rief sie in Richtung der Fremden, die sich mit langsamen Schritten dem Wagen näherte.
Als sie endlich neben Insa stand und ebenfalls ins Auto sah, sagte sie monoton: „Er ist tot, das habe ich Ihnen doch schon gesagt.“ Dann drehte sie sich zu Insa um und fügte hinzu: „Wir hatten keinen Unfall. Ich habe ihn ermordet.“
Insa wurde vor Entsetzen abwechselnd heiß und kalt. Sie nahm den Regen nicht mehr wahr und starrte die fremde Frau nur an, die aufgehört hatte zu weinen und zu zittern und auf einmal ganz ruhig wirkte. Sie musste sich verhört haben, unmöglich konnte die Frau gesagt haben, was Insa verstanden hatte. Mit einer Stimme, die ihr selbst fremd vorkam, fragte sie: „Was sagen Sie da?“
Statt zu antworten, drängte die Frau Insa sanft zur Seite, beugte sich in den Wagen, fasste den Mann an beide Schultern und lehnte seinen Oberkörper an die Rückenlehne. Sein Kopf kippte seitlich weg und sie bettete ihn behutsam an die Kopfstütze. Dann beugte sie sich über ihn und holte ihre Handtasche aus dem Fußraum auf der Beifahrerseite. Sie richtete sich mit ihrer Tasche im Arm wieder auf und trat zur Seite. Insa schnappte nach Luft bei dem Anblick, der sich ihr bot. Jetzt war sie es, die am ganzen Körper zitterte. Die Augen des Mannes waren weit geöffnet und blickten leblos, die Lippen waren blutleer. Über sein Kinn zog sich ein tiefer Kratzer und aus seiner linken Brust schaute eine silberne Nagelfeile heraus, die vermutlich im Herz steckte. Sein blütenweißes Hemd war rund um die Einstichstelle blutdurchtränkt. Es gab nicht den geringsten Zweifel daran, dass er tot war.
Eine Ewigkeit, die vermutlich nur aus wenigen Sekunden bestand, verging. Dann hörte Insa wieder die Stimme der fremden Frau dicht neben sich. „Sie können mir nicht helfen. Niemand kann mir helfen. Sie werden jetzt gewiss die Polizei verständigen.“
„Ich habe kein Handy dabei.“
„Dann gehen Sie nach Hause und telefonieren von dort. Ich warte hier.“
Insa erwachte aus ihrer Starre. „Sagen Sie mir, warum Sie das getan haben! Warum haben Sie Ihren Mann umgebracht?“
Die Fremde antwortete: „Tom war nicht mein Mann. Wir hatten nur seit einiger Zeit ein Verhältnis. Am Anfang war es wunderschön, aber dann nicht mehr. Ich weiß nicht, wie viele Male er mich verprügelt und vergewaltigt hat. Und heute wollte er es wieder tun, aber heute habe ich mich gewehrt.“
Insas Gedanken wirbelten wild durcheinander, aber sie bekam keinen einzigen zu fassen. Nur eines wusste sie genau: Sie glaubte der Frau jedes Wort. Ein Satz, den die verzweifelte Fremde gesagt hatte, lief nun in Insas Kopf in Dauerschleife: Ich weiß nicht, wie viele Male er mich verprügelt und vergewaltigt hat. Hätte Insas Mutter sagen können, wie oft sie in ihrer Ehe verprügelt und vergewaltigt worden war? Vermutlich nicht. Bestimmt hörte man auf zu zählen, sobald man begriff, dass es sich nicht um die Ausnahme handelte, sondern um die Regel. In den Augen und der demütigen Körperhaltung der Frau erkannte sie ihre Mutter, die sich stets geduckt durch ihr Leben bewegt hatte. Ein Gefühl von Ekel stieg in ihr auf. Und der Mann, der direkt vor ihr mausetot in seinem Auto saß, war also vom gleichen Schlag wie ihr Vater. Ein echter Mistkerl. Ein charakterlicher Totalausfall. Und letztlich doch nichts weiter als ein bedeutungsloser Nichtnutz, der sich aufspielte, indem er die Frau an seiner Seite erniedrigte.
Einerseits war Insa sich im Klaren darüber, dass sie den Mord umgehend der Polizei melden musste, damit die Täterin festgenommen wurde. Aber andererseits hatte dieser Typ doch gar nichts anderes verdient. Insa sah sich außerstande, in diesem Moment, mit der Leiche direkt vor ihrer Nase und der unglückseligen Frau neben sich, irgendeine Entscheidung zu treffen. Und es hatte ja alles überhaupt keine Eile. Dem Mann konnte nicht mehr geholfen werden.