Das Ende des Schweigens
Claudia Rikl

ROWOHLT Kindler

Taschenbuch

ISBN 978-3-4634-0685-5

14,99 € [D], 15,50 € [A]
Die Rache der Überlebenden

Leichenfund in Neubrandenburg: Ein ehemaliger Major der NVA hat sich in seiner Datsche die Pulsadern aufgeschnitten. In letzter Minute jedoch muss ein grausamer Täter seinen Freitod an sich gerissen haben, denn Hans Konrads Zunge liegt abgeschnitten neben ihm.
Susanne Ludwig, Journalistin und frisch geschieden, findet den Leichnam. Der grausige Anblick beschwört bei ihr traumatische Erinnerungen herauf, und sie erleidet einen Zusammenbruch. Trotzdem beginnt sie sofort zu recherchieren, wer den alten Mann umgebracht haben könnte. Was dem ermittelnden Kommissar überhaupt nicht in den Kram passt.
Vor fast 30 Jahren hat Kriminalhauptkommissar Michael Herzberg im berüchtigten Stasigefängnis Bautzen II eingesessen. Objektiv kann er deshalb nicht bleiben, als der Fall ihn mit düsteren Kapiteln der DDR-Geschichte und einem noch aktiven Netzwerk ehemaliger Militärs und Stasimitarbeiter konfrontiert. Dennoch ist er überzeugt, dass der Fall mit seiner persönlichen Geschichte nichts zu tun hat. Ein fataler Irrtum.
Claudia Rikl

© Foto: Stefan Hoyer

Claudia Rikl

Claudia Rikl, 1972 in Naumburg geboren und dort aufgewachsen, hat die Wendezeit als Abiturientin erlebt. Die Zeit der Demonstrationen und überfüllten Kirchen, des Zusammenbruchs und Neubeginns war prägend für sie. Die Juristin und Literaturwissenschaftlerin lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Derzeit arbeitet sie am nächsten Fall für Michael Herzberg.

Das Ende des Schweigens ist die Empfehlung der Woche der SYNDIKATs-Redaktion vom 30. Juli 2018

Drei Fragen an Claudia Rikl

1. Wann begann Ihre kriminelle Laufbahn?

Meine kriminelle Laufbahn begann im Spätherbst 2011, als mir beim Laubharken auf meinem Wochenendgrundstück die Idee kam, wie interessant es wäre, in einem kleinen Ferienhaus eine Leiche zu platzieren. Ich fragte mich, wie tief verzweifelt und verstört jemand, der dort eigentlich auf Erholungssuche ist, wegen dieses Leichenfunds wohl sein könnte, insbesondere dann, wenn dieser Mensch eine traumatische Vorgeschichte hat.

2. Wie viele Verbrechen gehen auf Ihr Konto?

Ich arbeite derzeit an einem weiteren Fall für den Neubrandenburger Ermittler Michael Herzberg und hoffe sehr, dass es nicht die Verbrechen sind, die den Leser in ihren Bann ziehen, sondern deren Aufklärung. Dort liegt ja der Fokus einer guten Kriminalgeschichte: auf der fesselnden, rätselhaften erzählerischen Ausgestaltung der Mühen der Ermittler, die die gewaltige Erschütterung, die der Tod eines Menschen bedeutet, durch die Überführung des Täters ein klein wenig sühnen.

3. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?

Wir Krimischreiber unterstreichen letztendlich eine Ordnung, die dem Menschen sagt: du sollst nicht töten! Genau das ist meiner Meinung nach die Legitimation, einen solchen Roman zu schreiben, eine andere sehe ich nicht, denn es gibt genug Leid und Tod auf der Welt. Mein Fokus liegt außerdem auf gesellschaftlichen und historischen Themen, ganz besonders im Kontext der DDR- Diktatur, die ich aus eigenem Erleben kenne. Dass Literatur Horizonte erweitert, dass sie Menschen berühren und erschüttern und Gutes in ihnen zum Klingen bringen kann, davon bin ich zutiefst überzeugt, und darin sehe ich meine Aufgabe und meine Legitimation.

Rezensionen

Fast scheint der Roman zu ihrem Roman zu werden, so dicht verpackt Claudia Rikl das alles, ohne die üblichen Krimi-Muster der Nerventortur zu ziehen. Ihre Helden und Heldinnen sind tatsächlich beladen mit Vergangenheit und haben bislang alle mehr recht als schlecht versucht, ihr psychologisches Päckchen zu tragen und zu verstecken.

Leipziger Internetzeitung

Leseprobe:

Auf der kleinen Anhöhe nördlich der Siedlung blieb er ste- hen und sog die kühle Aprilluft ein wie ein Ertrinkender. Dann presste er die Augenlider zu, um für einen Moment zu vergessen, was um ihn herum vor sich ging, aber das nützte nichts. Er hatte es in seinem Blut, der Luft in seinen Lungen, trug es wie einen Stempel auf der Netzhaut.

Es war Frühling. Zartes Grün lag wie Staub auf Sträu- chern und Bäumen, das ungewohnt helle Licht brannte in den Augen. Der Wind griff mit leichter Hand durch die Zwei- ge und fuhr ihm unters Hemd. Herrlich.

Es war ein Fehler gewesen, so lange zu warten, so viel stand fest. Wie ein Tanzbär hob er abwechselnd seine fau- lenden Füße. Als er fester auftrat, verwandelte sich die Taubheit darin in ein Kribbeln und Stechen und dann in den Schmerz von wundem, blutig rohem Fleisch bis zu den Oberschenkeln hinauf. Seit Wochen hatte er die Socken nur im Dunkeln gewechselt, um sich das Inferno nicht mehr ansehen zu müssen: gelb, blaurot, dunkellila und schwarz. Wahrscheinlich fing er schon an zu stinken. Und wenn. Er würde den Besserwissern niemals erlauben, sie abzu- schneiden und ihn im Rollstuhl spazieren zu fahren.

Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Es war mehr ein Wackeln als ein Gehen, aber er kam vorwärts. Die engen Stiefel waren natürlich keine Hilfe, im Gegenteil, aber sie stammten aus einer besseren Zeit und verliehen seinem Vorhaben so etwas wie Würde. Aber erstmal musste er es bis zum Haus schaffen, sonst müsste er es hier tun. Irgendein armer Trottel würde ihn dann finden. Bei dem Gedanken, wie das wohl ablaufen würde, schüttelte er sich. In der Gegend gab es Wildschweine.

Als er endlich am Gartentor stand, hörte er es hinter sich rascheln, es klang, als würden Zweige über glatten Stoff

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streifen. Er blieb stehen. Das Kratzen hörte auf. Vorsichtig drehte er den Kopf. Der Weg lag still und verlassen im mil- chigen Aprillicht. Zur Sicherheit bohrte er sich die Zeige- finger in die Ohren, darin schmatzte und knisterte es, und er musste fast lachen bei dem Gedanken, dass er sich davon hatte täuschen lassen.

Langsam schob er sich durch den Vorgarten. Als er sich auf den kleinen Treppenabsatz am Eingang wuchtete, war da wieder das Geräusch, aber er kümmerte sich nicht dar- um, sondern öffnete die Tür.

«Kommandeur!»

So hatte ihn seit Ewigkeiten niemand genannt. Er fuhr so schnell herum, dass er um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Es war niemand zu sehen.

«Kommandeur!»

Jetzt klang es wie Gesang, weich und lockend, als würde man ein Kind rufen.

Sein Herz klopfte unruhig und gierig. Im Geiste sah er sich in seiner Paradeuniform eine Reihe Offiziere abschrei- ten. Er hatte sogar das feinsilbrige Klirren der Orden an seiner Brust im Ohr, die beim Gehen aneinanderschlugen.

So weit bin ich schon, rief er sich zur Ordnung. Mein Gehirn gaukelt mir lauter Sachen vor. Aber vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen.

Im Haus war es dunkel und kühl. Unterm Küchenfens- ter lag eine Decke bereit. Als er sich darauf fallen ließ, ver- schwand das Feuer aus seinen Beinen wie eine Welle, die ins Meer zurückfließt.

Da war ein Knacken an der Tür. Die hatte er doch abge- schlossen?

Mit schwitzigen Händen ertastete er das Messer in der Schublade über sich und zog es heraus.