Martin Meyer
Martin Meyer, geb. 1967, früher Strafrichter, heute Romane, Kurzgeschichten und Lyrik. Außerdem spielt er Orgel und Posaune. So gilt sein Ohrenmerk dem Dreiklang von Sinn, Text und Wort. Sein juristisches Wissen gibt er heute weiter, als Dozent für „Strafprozessrecht für Autorinnen und Autoren“, zum Beispiel auch auf der CRIMINALE in Hannover. Er lebt mit seiner Frau Dagmar in Franken.
Am 8. Juli 2020 kam im Gmeiner-Verlag sein Debütroman „Der falsche Karl Valentin“ heraus. Sein Krimi "Mord im Altmühltal" ist am 13. April 2022 bei Gmeiner erschienen. Kurzkrimis aus seiner Feder sind unter anderem im Wellhöfer Verlag und im adakia Verlag veröffentlicht.
Am 9. Oktober 2024 ist nun bei Gmeiner der dritte Roman des gerne zwischen den Genres wandelnden Autors erschienen: "Die Orgelbauerin".
(c) Foto: Manuela ObermeierBücher von Martin Meyer
Leseproben & Dokumente
Leseprobe aus "Der falsche Karl Valentin"
Im Personenzug nach Augsburg entdeckten Karl Valentin und Liesl Karlstadt ein Coupé, in dem ein Eimer Wasser stand. Offenbar von einem Passagier, der sich damit gegen den Funkenflug der Lok gewappnet hatte. Daher zappelte Valentin heute nicht während der Fahrt. Er saß wie stets auf den Bänken der Holzklasse ihr schräg gegenüber. Würdigte sie dabei keines Blickes, sondern hatte, tief in sich gekehrt, die Hände gefaltet. Ließ die Daumen umeinanderkreisen. Er rauchte nicht einmal. Als dächte er unentwegt nach; über etwas, das stärker war als seine Angst vor der Eisenbahn. Da war es besser, ihn nicht zu inkommodieren. Vor dem Fenster hing der schwarze Rauch der Lokomotive in der Luft. Karlstadt schloss kurz die Augen, versuchte, sich auf den zu flachen Atem zu fokussieren, ihn zu beruhigen. Noch etwas bereitete ihr Sorgen. Anders als sonst vor außerordentlichen Auftritten wie dem auswärtigen Termin in Augsburg, hatte sich Valentin nicht gerührt. War nicht zusammen mit ihr das dortige Programm im Einzelnen durchgegangen. Karlstadt wusste nicht, welche Stücke und mit welchen Komparsen sie am Abend spielten. Säße sie doch jetzt Josef gegenüber, jenem Mann, der ihr die Luft zum Atmen beließ, statt sie, wie es Valentin tat, allein für sich zu beanspruchen; der sie nicht einzwängte, sondern dazu ermutigte, sich von Valentin zu … »Fräulein Karlstadt?«, fuhr Valentin in ihre Gedanken, mit jenen unbewegten Mundwinkeln, die Karlstadt über die Jahre immer unheimlicher geworden waren. »Was ist denn?« »Kann es hienieden noch einen weiteren Karl Valentin außer mir geben?« Typisch Valentin, konnotierte Karlstadt im Geiste. Eine Frage, aus der und über die man gut einen ganzen Dialog schreiben könnte. Am besten, sie sekkierte ihn doch ein wenig, grad so, dass er sich aufregte. Und ihm die Maske der Unantastbarkeit abrutschte. »Nein.« »Warum nicht?« »Weil’s in der Bibel steht. ›Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben außer mir.‹« Valentins Miene verhärtete sich. Versteinerte geradezu. Anders als es sich abzeichnete, fing er aber nicht an zu poltern, regte die Lippen, behielt es jedoch für sich. Der Zug bremste ab, so stark, dass Valentin zu Füßen der Eimer über die Ufer trat und ihm seine Schuhe unter Wasser setzte; genug, um ihn, der auf der Bühne alles zu parieren verstand, derart zu verunsichern, dass er das Wasser linkisch mit den beiden Hosenbeinen von den Schuhen wischte. Schon reute sie ihre Gehässigkeit, sie schaltete um, auf versöhnlich: »Du bist viel zu fein gesponnen, als dass man dich nachmachen könnte.« Draußen kamen die ersten Häuser Augsburgs in Sicht. Valentin erhob sich von der Bank. Darauf lag, von ihr bis dahin unbemerkt, ein krumm ausgerissener, aber akkurat gefalteter Zeitungsausschnitt. Er nahm ihn auf. Faltete ihn auseinander, behielt ihn jedoch bei sich. »Obacht«, knurrte er. »Heute Abend Rundfunk.Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Exklusiv im Löwenbräukeller.« Karlstadt erstarrte. Ein Ort, in dem sie noch nie gespielt hatten. Da war jeder Irrtum, etwa ein der Zeitung falsch übermitteltes Datum, ausgeschlossen. Kein Wunder also, dass seine Angst vor der Eisenbahn verflogen war. Weil ihn das noch weit mehr ängstigte. »Zeig mal.« Valentin runzelte die Stirn, faltete das Blatt wieder zusammen und setzte sich erneut darauf. Immerhin hatte er sich von ihr duzen lassen. »Du tust ja fast so, als ginge mich das nichts an? Zeig endlich her!« »Wieso?« »Weil dann nicht nur du einen Doppelgänger hättest, sondern auch ich. Oder willst du den Firmling und den Rundfunk allein spielen?« Valentin brodelte, wie ein Vulkan. Doch er schwieg beharrlich, bis Augsburg Hauptbahnhof. Wo er, kaum dem Zug entstiegen, einen Gepäckmann nach dem nächsten Postamt fragte – und Karlstadt eiligen Schrittes sowie mit einem kryptischen »Ich muss telegrafieren« auf dem Perron zurückließ.Der falsche Karl Valentin